Tag & Nacht


Ein goldener Novembertag, die Sonne küsst die Haut, Kinder lachen am Strand von Arcachon, als wäre der Sommer nie gegangen. Und doch liegt über dieser Idylle ein seltsamer Schatten. Es ist das beklemmende Gefühl, das viele nicht mehr abschütteln können: Diese Wärme fühlt sich falsch an.

Denn was früher ein seltener Glücksfall war – ein milder Herbsttag, ein Sonnenstrahl zwischen grauen Wolken – ist heute fast ein schlechtes Omen. 26 Grad Mitte November? Noch vor wenigen Jahren hätte das für ungläubiges Staunen gesorgt, heute zucken viele nur noch mit den Schultern. Die Normalität hat sich heimlich, still und leise verschoben.

Natürlich genießen wir das schöne Wetter. Natürlich sitzen wir lieber auf der Terrasse als im Regen. Aber was bedeutet das eigentlich, wenn der Winter ausfällt, der Frost sich verspätet, der Kamin kalt bleibt? Ist es noch Lebensqualität – oder ist es der Anfang vom Ende der Jahreszeiten?

Wir sind zu Komplizen unseres eigenen Klimadramas geworden. Während wir die Sonnenbrille aufsetzen und uns über Heizkosteneinsparungen freuen, schmelzen an anderer Stelle Gletscher, versiegen Quellen, verglühen Lebensräume. Das ist der bittere Nachgeschmack dieser warmen Novembertage: Sie sind ein Versprechen ohne Zukunft.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist es so schwer, sich dieser Wetterlage zu entziehen. Wie soll man den Kindern erklären, dass ein Badetag im Herbst kein Grund zur Freude mehr ist? Wie sollen Gastronomen ihre volle Terrasse hinterfragen, wenn der Umsatz endlich wieder stimmt? Wie sollen wir alle lernen, das zu fürchten, was wir immer geliebt haben?

Es ist eine perfide Ironie, dass ausgerechnet die Sonne, diese alte Vertraute unseres Urlaubsgefühls, zum Symbol einer schleichenden Katastrophe wird.

Und ja, es ist ein Privileg, sich überhaupt diese Fragen stellen zu können – während anderswo Dürren, Brände und Stürme längst über Leben und Tod entscheiden. Aber genau dieses Privileg verpflichtet. Wir dürfen diese neue Realität nicht einfach hinnehmen. Nicht schweigend, nicht achselzuckend, nicht genießend, als wäre alles in Ordnung.

Denn nichts ist in Ordnung.

Wer jetzt noch meint, der Klimawandel sei ein Problem der Zukunft, hat nicht hingesehen. Er ist längst hier, in unseren Gärten, auf unseren Tellern, auf unseren Stirnen, wenn wir mit einem unguten Gefühl in den blauen Himmel blicken. Und wenn die Freude über die Sonne plötzlich den Klimasorgen weicht, ist das vielleicht kein Zeichen von Pessimismus – sondern von Reife.

Denn echtes Umdenken beginnt oft dort, wo das Bauchgefühl zuerst rebelliert.

Ein Kommentar von Victor Maréchal

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