Manchmal dauert es nur zwei Stunden.
Zwei Stunden – und aus einer friedlich dahinplätschernden Flusslandschaft wird ein bedrohlicher Strom, der alles mit sich reißt, was ihm in die Quere kommt. Genau das passierte am vergangenen Wochenende in der Dordogne und Corrèze: Der Fluss Vézère, sonst ein Ruhepol inmitten der grünen Hügellandschaft, stieg in kürzester Zeit von 2,80 auf 4,50 Meter. Die Einheimischen in Montignac-Lascaux sprachen von einem Ereignis, das sie „so noch nie gesehen“ haben.
Doch wie konnte das passieren? Und warum häufen sich solche Ereignisse?
Wasser auf dem Vormarsch – Mitten in der Idylle
Montignac, Terrasson, Le Bugue, Saint-Léon-sur-Vézère – Orte, die man mit Urlaub, Natur und Kultur verbindet, nicht mit Notfallplänen und Evakuierungen. An diesem Wochenende aber waren genau das die Worte der Stunde. Ein Bus mit 19 deutschen Touristen, eingeschlossen von den Fluten, konnte nur noch zu Fuß, mit Schwimmwesten gesichert, gerettet werden – die Boote der Feuerwehr waren wegen der Strömung machtlos.
Straßen verschwanden unter Wasser, Keller liefen voll, Anwohner mussten ihre Häuser verlassen. Die Behörden riefen die Alarmstufe Orange aus. Und während man sich fragte, wie es so schnell so schlimm werden konnte, begann bereits die Suche nach Antworten.
Der Himmel öffnet die Schleusen – und das Klima zieht mit
Die Erklärung liegt näher, als uns lieb ist.
Solche sintflutartigen Regenfälle sind kein Zufall. Sie sind Ausdruck eines Klimas, das sich rasant verändert. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen – und wenn sie sich entlädt, tut sie das mit einer Kraft, die viele alte Infrastrukturen überfordert.
Früher waren es „Jahrhundertereignisse“, heute sind es „Ereignisse der letzten fünf Jahre“. Wer das als Zufall abtut, macht es sich zu einfach.
Der Klimawandel ist längst kein entferntes Zukunftsszenario mehr. Er zeigt sich in überfluteten Straßen, zerstörten Weinbergen und nervlich angeschlagenen Einsatzkräften. Und das nicht irgendwo, sondern vor unserer Haustür.
Was tun, wenn alles zu schnell geht?
Natürlich gibt es in Frankreich – wie in vielen anderen Ländern – Pläne zur Hochwasservorsorge. Rückhaltebecken, Pegelmessstationen, Frühwarnsysteme. Doch was, wenn die Natur plötzlich schneller ist als unsere Pläne?
Eine Anekdote aus Montignac bringt es auf den Punkt: Ein Anwohner sagte, er habe kaum Zeit gehabt, das Auto aus der Einfahrt zu fahren – so schnell sei das Wasser gekommen.
Wie soll man sich auf etwas vorbereiten, das in Minuten Realität wird?
Das Dilemma der Infrastruktur
Ein großer Teil der Infrastruktur in Europa stammt aus einer Zeit, in der extreme Wetterereignisse seltener waren – und vor allem planbarer. Flüsse hatten ihren Lauf, Regen kam in Etappen, und der Winter hielt sich an seine Spielregeln.
Heute? Chaos in der Atmosphäre. Und die Infrastruktur? Oft überfordert.
Wir brauchen Systeme, die flexibler reagieren können. Abwassersysteme, die nicht gleich kollabieren. Straßen, die nicht beim ersten Starkregen weggespült werden. Und vielleicht – ganz vielleicht – auch eine Kultur, die lernt, sich dem Wasser nicht überall in den Weg zu stellen.
Was lernen wir aus der Dordogne-Flut?
Zum einen: Die Natur ist nicht unser Feind, aber sie fordert Respekt. Und manchmal ist der beste Schutz nicht ein weiterer Damm, sondern klug genutzter Raum.
Zum anderen: Wir dürfen die soziale Dimension solcher Ereignisse nicht vergessen. Wer arm ist, wohnt oft in schlechter isolierten Häusern, hat keinen Keller mit Pumpe, kein Auto, um zu fliehen, keinen Urlaub zum Ausweichen.
Klimaanpassung ist auch eine soziale Frage. Sie entscheidet darüber, wer in der Katastrophe untergeht – und wer es schafft, sich zu retten.
Warum tun wir uns so schwer, das anzuerkennen?
Vielleicht, weil wir Veränderung oft erst dann akzeptieren, wenn sie uns direkt trifft. Weil es einfacher ist, weiterzumachen wie bisher, als das Unvermeidliche anzupacken. Aber die Realität klopft längst nicht mehr – sie tritt die Tür ein.
Die Dordogne ist ein Beispiel von vielen. Und wir alle sind Teil der Lösung.
Was jetzt passieren muss
Mehr Zusammenarbeit – und zwar über Fachgrenzen hinweg. Meteorologinnen, Stadtplanerinnen, Soziologinnen, Hydrologinnen – sie alle müssen an einem Tisch sitzen, wenn es um Resilienz geht. Wenn Daten besser verfügbar sind und die Technik weiter voranschreitet, können wir präziser, schneller und effizienter reagieren. Aber nur, wenn wir das Wissen auch teilen.
Und wir brauchen Mut. Mut zur Veränderung, auch wenn sie unbequem ist. Denn Klimaanpassung bedeutet nicht nur, mehr Bäume zu pflanzen oder Flüsse zu renaturieren. Sie bedeutet auch, unbequeme Fragen zu stellen:
Müssen wir manche Gebiete vielleicht sogar aufgeben?
Ein persönliches Wort zum Schluss
Ich habe viele Überschwemmungen dokumentiert. Ich habe mit Betroffenen gesprochen, mit Retterinnen, mit Wissenschaftlerinnen. Und jedes Mal bleibt am Ende dieses dumpfe Gefühl: Wir müssen mehr tun.
Aber ich glaube auch – wir können noch etwas tun. Die Zeit ist knapp, ja. Doch Hoffnung ist keine Naivität, sondern ein Plan mit offenen Augen.
Es liegt an uns, ob wir daraus lernen. Oder ob wir weiter zusehen, wie zwei Stunden reichen, um eine ganze Region ins Chaos zu stürzen.
Quellen:
- Préfecture de la Dordogne
- France Bleu Périgord
- Météo France
- Interviews aus Montignac-Lascaux
Von Andreas M. Brucker
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!