In Frankreich nimmt die Zahl der „communes nouvelles“ – neuer Zusammenschlüsse von Gemeinden – stetig zu. 845 solcher neuen Kommunen gab es Anfang 2025 bereits, sie vereinten fast 2,9 Millionen Einwohner. Doch was auf dem Papier wie ein Verwaltungsakt erscheint, ist in Wahrheit ein emotionaler Kraftakt. Denn mit der Fusion geht auch die Frage einher: Wie soll das neue Gebilde heißen?
Ein neuer Name für eine neue Gemeinschaft – das klingt simpel. Ist es aber nicht.
Identität auf dem Prüfstand
Wer den Namen einer Gemeinde festlegt, bestimmt weit mehr als einen Eintrag im Verwaltungsregister. Der Name ist ein Symbol – für Geschichte, Stolz, Heimat. Und genau deshalb wird oft leidenschaftlich darüber gestritten.
Wenn zum Beispiel Saint-Martin und Saint-Pierre fusionieren, will keine Seite, dass ihr Name einfach verschwindet. Und auch die neue Gemeinde soll sich nicht anhören wie eine Zweck-WG aus Excel-Dateien.
Zwischen Abstimmungen und Bauchgefühlen
Das französische Gemeinderecht lässt viel Raum für Mitgestaltung. Die Fusionen erfolgen auf freiwilliger Basis, die Namen können im Zuge der Gründungsverhandlungen abgestimmt werden. Findet sich kein Konsens, greift die Präfektur ein – doch das ist selten erwünscht.
Manche Kommunen setzen daher auf Partizipation: In Vicq-sur-Mer wurde eine öffentliche Namenssuche organisiert. Aus 65 Vorschlägen wählte der Gemeinderat jenen aus, der einen bereits existierenden Ortsteil ehrte – charmant und bodenständig.
In Vimartin-sur-Orthe wiederum wurde kreativ kombiniert: Vimarcé, Saint-Martin-de-Connée und Saint-Pierre-sur-Orthe wurden sprachlich verschmolzen. So entstand ein Name, der Brücken baut – zwischen Geschichte und Zukunft.
Wenn Tradition auf Bürokratie trifft
Doch nicht alle Geschichten laufen so glatt. Gerade in Regionen mit starker sprachlicher Identität, wie der Bretagne, wird um Namen gerungen. Einige Bürgermeister möchten Ortsnamen in bretonischer Sprache erhalten oder wieder einführen – ein Akt kultureller Selbstbehauptung.
Doch staatliche Stellen sehen das oft kritisch. Zu exotisch, zu schwer auszusprechen, zu wenig kompatibel mit dem französischen Verwaltungssystem, heißt es. So werden manche Gemeinden gedrängt, neutralere Bezeichnungen zu wählen.
Ein Stück kulturelle Vielfalt geht dabei verloren – und es bleibt die Frage: Wer entscheidet eigentlich, was „zu kompliziert“ ist?
Zwischen Stolz und Pragmatismus
Natürlich spielen bei der Namenswahl auch ganz pragmatische Überlegungen eine Rolle. Wie klingt der Name für Außenstehende? Kann man ihn leicht schreiben und merken? Wird er im GPS gefunden?
Aber: Muss ein Name immer perfekt sein? Oder darf er auch eigen, unperfekt, gewachsen sein – wie die Menschen, die dort leben?
Warum der Name über Zukunft entscheidet
Ein gelungener Name kann Identifikation stiften, das Wir-Gefühl stärken und den Start in eine gemeinsame Zukunft erleichtern. Umgekehrt kann ein unglücklich gewählter Name zu Frust, Ablehnung und passivem Widerstand führen.
Deshalb lohnt sich der Aufwand, auch wenn es mühsam ist. Beteiligung, Diskussionen, vielleicht auch hitzige Debatten – all das gehört dazu.
Denn letztlich geht es um mehr als Buchstaben auf einem Ortsschild. Es geht darum, ob Menschen sich wiederfinden in ihrer neuen Gemeinde. Und ob sie bereit sind, sich mit ihr zu identifizieren.
Viel mehr als Symbolik
In einer Zeit, in der viele Menschen das Gefühl haben, politisch nicht mehr mitgestalten zu können, bieten solche Fusionsprozesse eine echte Chance zur Teilhabe. Wer mitreden darf, fühlt sich gehört. Und wer sich gehört fühlt, bleibt engagiert – für seine Straße, sein Viertel, sein Dorf.
Vielleicht sind es gerade diese scheinbar kleinen Dinge – wie die Wahl eines Namens – die den Unterschied machen zwischen Politikverdrossenheit und lokalem Stolz.
Und Hand aufs Herz: Wer möchte schon in einer Gemeinde leben, deren Name klingt, als hätte ihn ein Algorithmus ausgewürfelt?
Von Daniel Ivers
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