Am Abend des 19. Mai 2025 war im Südwesten Frankreichs nichts mehr wie zuvor.
Was mit einem warmen Frühlingstag begann, endete in einem meteorologischen Inferno, das in den Köpfen vieler Menschen eingebrannt bleiben dürfte. Orkanartige Winde, sintflutartige Regenfälle und vor allem: Hagel – nicht etwa in Erbsengröße, sondern in Dimensionen, die man sonst auf dem Golfplatz findet. 7 Zentimeter Durchmesser. So groß waren die Eisklumpen, die unter anderem auf die Départements Haute-Garonne, Tarn und Tarn-et-Garonne niederprasselten.
Ein einziger Tag – aber mit Folgen, die noch lange nachhallen.
Wetter der Superlative
Gegen 17 Uhr war die Welt noch halbwegs in Ordnung.
Dann: ein Donnergrollen, das sich anfühlte wie aus einem Katastrophenfilm. Der Himmel über dem Südwesten Frankreichs verfärbte sich dramatisch – und explodierte. Innerhalb von Minuten wüteten Gewitter mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h, begleitet von extremer Blitzaktivität. Die Eiskörner prasselten mit solcher Wucht auf Dächer, Autos und Wintergärten, dass sogar Ziegeldächer durchschlagen wurden.
In Orten wie Muret und Puylaurens, südlich von Toulouse, lagen ganze Straßenzüge unter Wasser. Einige Videos auf Social Media sahen aus, als hätte man Schnee mit Hagel vermischt – dabei war es schlichtweg der Eisschauer selbst, der eine weiße Decke und viel Schaden hinterließ.
Transportchaos und Evakuierungen
Der Schock ging weit über geplatzte Dachfenster hinaus.
Ein TGV auf der Strecke Paris–Toulouse musste in Tonneins evakuiert werden. Die Bahnstrecke? Teilweise weggespült. Über 500 Passagiere verbrachten die Nacht in einer improvisierten Notunterkunft – eine Szene, wie aus einem anderen Jahrhundert.
Landstraßen standen unter Wasser, umgestürzte Bäume versperrten ganze Landstriche. Schulen? Evakuiert. Notdienste? Im Dauereinsatz. Allein in der Haute-Garonne wurden mehrere hundert Einsätze dokumentiert. Feuerwehrleute, Sanitäter, Kommunalbedienstete – sie alle arbeiteten im Akkord.
Und was machte die Natur? Sie donnerte weiter.
Eine Region am Limit
Bereits am Morgen des 19. Mai hatte Météo-France elf Départements in Alarmbereitschaft versetzt. Zu Recht.
Es war das zweite derartige Unwetter in nur wenigen Tagen. Bereits am 10. Mai wurden in den Departements Gironde und Gers Hagelkörner mit bis zu 4 Zentimetern Durchmesser gemessen. Auch damals hagelte es Schäden in Millionenhöhe.
Zwei Ereignisse – innerhalb von nicht einmal zwei Wochen. Klingt das noch nach „Zufall“?
Der Klimawandel liest keine Wetterkarten
Hier liegt der eigentliche Knackpunkt.
Denn was da über Südfrankreich hereingebrochen ist, war kein einmaliger Ausrutscher der Atmosphäre. Es war ein Symptom – und das nicht erst seit gestern. Klimaforscher beobachten seit Jahren eine Zunahme extremer Wetterereignisse: stärkere Unwetter, intensivere Niederschläge, heftigere Hagelstürme. Nicht nur in Frankreich, sondern weltweit.
Doch warum gerade Hagel?
Die Erklärung ist (leider) ziemlich einfach: Wärmere Luft speichert mehr Feuchtigkeit. Und mehr Feuchtigkeit bedeutet – bei der richtigen Konstellation – mehr Energie in der Atmosphäre. Hagelkörner können dadurch nicht nur häufiger entstehen, sondern auch größer und zerstörerischer werden. Der 19. Mai 2025 erlebte genau solch ein Szenario.
Anpassung statt Verdrängung
Was also tun?
Wegschauen hilft nicht – im Gegenteil. Die Infrastruktur vieler Regionen ist auf solche Ereignisse schlicht nicht vorbereitet. Dächer, die früher kleine Hagelkörner überlebten, brechen heute unter Golfball-großen Geschossen zusammen. Straßen, die einst bei starken Regenfällen noch funktionierten, stehen heute unter Wasser.
Es braucht angepasste Bauweisen. Widerstandsfähigere Materialien. Frühwarnsysteme, die präziser und schneller funktionieren. Aber auch etwas viel Wichtigeres: ein Umdenken in den Köpfen. Denn das Klima von gestern kehrt nicht zurück. Die Zukunft wird intensiver, lauter – und unberechenbarer.
Zwischen Angst und Solidarität
Was bleibt, ist ein Mix aus Fassungslosigkeit und Tatendrang.
Die Bilder aus Toulouse, aus Puylaurens, aus Tonneins – sie zeigen zerstörte Häuser, zerbeulte Autos, zerschmetterte Gewächshäuser. Aber sie zeigen auch Nachbarn, die sich helfen, Menschen, die gemeinsam Schlamm aus Kellern schippen, Notunterkünfte, die binnen Stunden entstehen.
Vielleicht ist das unsere größte Stärke: unsere Fähigkeit zur Solidarität in Zeiten der Krise.
Doch eine Frage bleibt offen – wie oft muss so etwas noch passieren, bis Politik, Wirtschaft und Gesellschaft konsequent handeln?
Fazit? Nein. Aufruf!
Diese Ereignisse sollten niemanden mehr überraschen. Sie sind der neue Maßstab. Wer heute noch glaubt, dass der Klimawandel irgendwo da draußen passiert – in der Arktis oder auf Inselstaaten im Pazifik – hat die Realität verpasst. Er passiert hier. Jetzt. Vor unserer Haustür.
Und er trifft nicht alle gleich. Wer kein stabiles Dach hat, kein Auto richtig versichern kann, keinen Zugang zu Informationen hat – der leidet mehr. Auch deshalb ist Klimaanpassung eine Frage der Gerechtigkeit.
Wollen wir wirklich warten, bis der nächste Hagelsturm Dächer abträgt? Oder handeln wir endlich?
Autor: Andreas M. Brucker
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