Tag & Nacht




Ein 13-jähriger Schüler wird mit vier Messern und einem Schlagring am Schultor erwischt – das klingt wie der Anfang eines Krimis, ist aber traurige Realität an einem ganz normalen Freitagmorgen im Mai 2025, mitten in Toulouse.

Der Fall am Collège Paléficat ist kein Einzelfall mehr, sondern ein weiteres alarmierendes Symptom einer Entwicklung, die immer mehr Lehrer, Eltern und Politiker ratlos macht. Waffen in der Schultasche – das wird beängstigend oft zur bitteren Normalität.

Snapchat und Rachefantasien: Wenn soziale Netzwerke zur Bühne werden

Was war passiert? Die Schulverwaltung hatte eine Taschenkontrolle durchgeführt – nicht aus Routine, sondern wegen eines konkreten Hinweises einer Mutter. Die warnte vor einer geplanten Schlägerei nach Schulschluss. Und tatsächlich: Ein Schüler hatte nicht nur ein feststehendes Messer bei sich, sondern auch zwei Klappmesser, ein Austernmesser und einen Schlagring. So etwas trägt man nicht zum Spaß mit sich herum – oder?

Doch genau das war offenbar die Haltung einiger Mitschülerinnen, die die Aktion herunterspielten: „War doch nur zum Spaß.“ Ein Satz, der einem eiskalt den Rücken hinunterläuft. Wie sehr muss sich das Bewusstsein für Gewalt bei Jugendlichen verschoben haben, wenn das Mitführen von Waffen nicht mehr als gefährlich, sondern als harmloser Gag gesehen wird?

Die Konfrontation war offenbar akribisch vorbereitet worden – über Snapchat, dem sozialen Netzwerk der Wahl für viele Teenager. Zwei Tage zuvor hatte es schon eine Schlägerei gegeben. Jetzt wollte jemand „zurückschlagen“. Eine Revanche, die zum Glück vereitelt wurde – diesmal.

Eine Schule im Ausnahmezustand

Seit der Eröffnung im September 2024 ist das Collège Paléficat mit Problemen konfrontiert. Einige Lehrer schlagen längst Alarm. Sie berichten von zunehmender Gewalt, Respektlosigkeit und einem Umfeld, das für pädagogische Arbeit kaum noch Raum lässt. Ein schwieriges Pflaster – so sagen es auch viele Eltern, die die sozialen Spannungen im Norden von Toulouse gut kennen. Der neue Schulbau hat an der Realität wenig geändert.

Einige fragen sich: Warum überhaupt bewaffnen sich Kinder? Die Antworten darauf sind vielschichtig. Fehlende elterliche Aufsicht, Gruppenzwang, der Wunsch nach Anerkennung oder schlicht Angst – alles spielt wohl eine Rolle. Eine Mutter meinte offen: „Manche Eltern haben einfach nicht mehr die Kontrolle über ihre Kinder.“

Ein landesweites Phänomen – mit steigender Tendenz

Nur zwei Wochen zuvor wurden zwei gleichaltrige Schüler in Saint-Herblain bei Nantes mit Messern erwischt. Der eine zeigte seinen Klappmesser stolz auf dem Schulhof, der andere spielte mit einem Opinel-Messer an der Tram-Haltestelle. Beinahe Alltag, wenn man den jüngsten Zahlen der Bildungsministerin glauben darf: Die Meldungen über bewaffnete Jugendliche haben sich innerhalb eines Jahres um 15 Prozent erhöht.

Ein Trend, der kein regionales Problem mehr darstellt – sondern ein gesellschaftliches. Nach einem tödlichen Messerangriff an einem Gymnasium in Nantes ordnete Premierminister François Bayrou verstärkte Kontrollen an. „Autorität und Sicherheit müssen zurück in die Schulen der Republik“, verkündete er.

Doch wie soll das gelingen? Reichen Polizeipräsenz und Taschenkontrollen wirklich aus?

Mehr als Disziplin – eine Frage des Vertrauens

Die eigentliche Herausforderung liegt tiefer: Gewalt ist oft der Ausdruck eines Schreis nach Aufmerksamkeit. Wer mit einem Messer in die Schule kommt, hat möglicherweise das Gefühl, sich anders nicht behaupten zu können – gegen Mobbing, soziale Ausgrenzung, familiäre Überforderung.

Die Lösung liegt also nicht allein in härteren Maßnahmen. Es braucht mehr psychologische Betreuung, mehr Sozialarbeit, gezielte Programme zur Gewaltprävention. Vor allem aber braucht es das: Erwachsene, die zuhören und handeln – bevor etwas passiert.

Denn jedes Kind, das zur Waffe greift, ist ein Kind, das in irgendeinem Bereich seines Lebens allein gelassen wurde.

Die Schule darf kein Schlachtfeld werden

Wollen wir wirklich riskieren, dass unsere Schulen zu Orten werden, an denen Kinder sich bewaffnen, weil sie Angst haben – oder weil es „cool“ ist? Die Antwort ist klar. Es braucht eine große gemeinsame Anstrengung: von Schulen, Eltern, Behörden und der gesamten Gesellschaft. Sonst ist die nächste Messerstecherei womöglich nicht mehr nur angekündigt – sondern Realität.

Von C. Hatty

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