Tag & Nacht


Es gibt Momente, in denen Politik schweigen sollte. Nicht aus Kalkül, nicht aus taktischer Klugheit, sondern aus schlichter menschlicher Anständigkeit. Der gewaltsame Tod des Regisseurs Rob Reiner und seiner Ehefrau Michele Singer Reiner zählt zu diesen Momenten. Doch kaum waren die ersten Meldungen veröffentlicht, kaum hatte sich das Entsetzen über die Tat in Hollywood und darüber hinaus ausgebreitet, da betrat Donald Trump die Bühne – und verwandelte ein Verbrechen auch noch in ein politisches Schlachtfeld.

Weniger als 24 Stunden nach dem Fund der Leichen in dem Haus des Paares in Los Angeles meldete sich der Präsident auf seiner Plattform Truth Social zu Wort. Kein Beileid, keine Zurückhaltung, keine Worte des Trostes. Stattdessen ein Text, der wirkte, als sei er unter Hochdruck formuliert worden – angriffslustig, polemisch, verletzend. Trump sprach von einem „tortured and struggling, but once very talented movie director“ und stellte ohne jeden Beleg die Behauptung auf, Reiners Tod stehe in Zusammenhang mit dessen scharfer Kritik an ihm selbst. Das Schlagwort, das Trump seit Jahren begleitet wie ein politischer Talisman, durfte auch hier nicht fehlen: „Trump Derangement Syndrome“.

Die Botschaft war eindeutig. Reiner, so die implizite Logik, habe durch seine Obsession mit Trump andere derart in Rage versetzt, dass dies letztlich zu seinem Tod geführt habe. Eine Behauptung, die weder von der Polizei gestützt noch durch Fakten untermauert wurde. Die Ermittler sprachen zu diesem Zeitpunkt lediglich von einem Tötungsdelikt, über Motive oder Hintergründe war nichts bekannt. Fest stand nur, dass der 32-jährige Sohn des Paares, Nick Reiner, festgenommen worden war.

Die politische Sprengkraft dieses Moments entfaltete sich nahezu augenblicklich. Selbst in einem Land, das an rhetorische Grenzüberschreitungen gewöhnt ist, galt Trumps Reaktion vielen als Tabubruch. Bemerkenswert war dabei weniger die Empörung aus dem demokratischen Lager – sie kam erwartbar und heftig –, sondern der Widerstand aus den eigenen Reihen. Abgeordnete, die Trump ideologisch oft nahestehen oder ihn in der Vergangenheit verteidigt hatten, meldeten sich öffentlich zu Wort und widersprachen.



Thomas Massie, Republikaner aus Kentucky und wahrlich kein unkritischer Geist innerhalb der Partei, formulierte es scharf. Unabhängig davon, wie man zu Rob Reiner gestanden habe, sei es unangemessen und respektlos, so über einen Menschen zu sprechen, der gerade brutal ermordet worden sei. Seine Worte klangen nicht nach parteipolitischem Kalkül, sondern nach echtem Unbehagen. Marjorie Taylor Greene, sonst selbst durchaus für schrille Töne bekannt, mahnte Empathie an. Dies sei kein Moment für politische Abrechnungen, sagte sie sinngemäß, sondern einer für Mitgefühl.

Andere wählten leisere, aber nicht minder deutliche Formen der Distanzierung. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, John Thune, wich einer direkten Stellungnahme aus, sprach lediglich von einer Tragödie und sandte der Familie sein Mitgefühl. Auch das Schweigen kann eine Botschaft sein.

Trump jedoch blieb bei seiner Linie. Auf Nachfrage von Reportern bekräftigte er seine Aussagen, nannte Reiner eine „deranged person“ und warf ihm vor, Teil dessen gewesen zu sein, was er seit Jahren als „Russia Hoax“ bezeichnet. Es war, als müsse jede Gelegenheit genutzt werden, um alte Feindbilder neu zu beleben. Selbst der Tod bietet keinen Schutz.

Für viele Beobachter offenbart dieser Vorgang mehr als nur einen geschmacklosen Ausrutscher. Er steht exemplarisch für eine politische Kultur, in der selbst der Verlust von Leben nicht mehr außerhalb der ideologischen Auseinandersetzung steht. Der Tod wird zur Projektionsfläche, zur Bühne, auf der Loyalität und Feindschaft erneut verhandelt werden. Wer in dieses Raster passt, erhält Mitgefühl. Wer nicht passt, wird posthum angeklagt.

Rob Reiner war nie eine neutrale Figur. Als Regisseur von Filmen wie „This Is Spinal Tap“, „Stand by Me“, „When Harry Met Sally“ oder „A Few Good Men“ prägte er das amerikanische Kino über Jahrzehnte. Gleichzeitig verstand er sich als politischer Akteur. Er engagierte sich gegen den Irakkrieg, kämpfte für die Ehe für alle in Kalifornien, setzte sich für frühkindliche Bildung ein und wurde zu einem der prominentesten Kritiker Donald Trumps in Hollywood. Seine Stimme war laut, manchmal schneidend, oft moralisch aufgeladen. Das machte ihn angreifbar – politisch. Doch es rechtfertigt keine Entmenschlichung.

Dass selbst konservative Kommentatoren, Podcaster und Aktivisten Trumps Einlassungen als geschmacklos bezeichneten, zeigt die Tiefe der Irritation. Einige forderten offen, der Präsident solle seinen Beitrag löschen. Nicht aus taktischen Gründen, sondern weil eine Grenze überschritten schien. Da war plötzlich von Gebet die Rede, von Kondolenz, von der simplen Einsicht, dass kein gesetzestreuer Mensch einen solchen Tod verdient – egal, wie sehr man seine Ansichten ablehnt.

In der Summe entsteht das Bild eines Landes, das sich selbst in einem menschlichen Ausnahmezustand kaum noch auf gemeinsame Regeln verständigen kann. Der Tod als letzte Grenze, als Moment des Innehaltens, verliert seine verbindende Kraft. Stattdessen wird er eingespannt in den Dauerbetrieb der Empörung, des Zuschreibens, des politischen Kampfes. Das ist kein Einzelfall, aber selten war es so deutlich sichtbar.

Was bleibt, ist eine bittere Erkenntnis. Wenn selbst ein gewaltsames Verbrechen nicht mehr zur sprachlichen Abrüstung führt, wenn selbst Trauer politisch markiert wird, dann sagt das weniger über die Verstorbenen als über die Lebenden. Über eine Öffentlichkeit, die ständig auf Empfang steht für den nächsten Affront. Und über einen Präsidenten, der offenbar keinen Moment ungenutzt lässt, um alte Rechnungen zu begleichen – koste es, was es wolle.

Von C. Hatty

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