Tag & Nacht


Sie pfeifen auf Hierarchien, twittern schneller als Behörden reagieren und bringen Regierungen ins Wanken: Die Generation Z betritt die politische Bühne – nicht zaghaft, sondern mit voller Wucht. Ob in Kathmandu, Rabat oder Nairobi: Junge Menschen organisieren sich, protestieren und fordern ein System, das sie nicht mehr ausschließt, sondern endlich ernst nimmt.

Was sich dabei entfaltet, ist kein launisches Aufflackern jugendlicher Rebellion. Es ist eine neue globale Protestbewegung – digital vernetzt, dezentral organisiert und radikal in der Forderung nach Veränderung.

Der digitale Puls der Straße

Geboren zwischen Mitte der 1990er und den frühen 2010er Jahren, ist die Gen Z in einer Welt aufgewachsen, in der WLAN-Verbindung und Weltgeschehen kaum noch voneinander zu trennen sind. Smartphones, TikTok und Discord sind keine bloßen Kommunikationsmittel – sie sind Lebenswelt und politisches Werkzeug zugleich.

In Nepal genügte im September 2025 ein Social-Media-Verbot, um landesweite Massenproteste auszulösen. Was zunächst wie ein digitaler Boykott aussah, wurde binnen Tagen zu einem politischen Erdbeben – inklusive Stürmung des Parlaments, Rücktritt des Premiers und globaler Aufmerksamkeit.

Was lernen wir daraus? Diese Generation ist hochgradig vernetzt, blitzschnell mobilisierbar – und bereit, für ihre Überzeugungen alles zu riskieren.

Wirtschaftlicher Frust trifft politischen Stillstand

Obwohl ihre Lebensrealität oft unterschiedlich ist, verbindet die Protestierenden weltweit eine gemeinsame Erfahrung: soziale Unsicherheit und politische Ignoranz. In Marokko etwa liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei dramatischen 35 %. Gleichzeitig investieren Regierungen Milliarden in Prestigeprojekte – wie Stadien für die Fußball-WM – während Bildung und Gesundheit auf der Strecke bleiben.

In Kenia entzündete sich der Aufstand an Steuererhöhungen und drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten. Doch es war mehr als ökonomische Wut: Jugendliche beklagten eine gefühlte Entmündigung – und machten mit Kunst, Street Art und Spoken Word klar, dass ihnen nicht nur das Geld, sondern vor allem die Stimme fehlt.

Diese Mischung aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und politischer Ohnmacht ist der gemeinsame Nenner vieler Gen Z-Proteste – von Peru bis Nigeria.

Keine Anführer, keine Parteien – nur Haltung

Auffällig ist: Die Bewegungen dieser Generation kommen ohne klare Führungspersönlichkeiten aus. Keine „Che Guevaras“ oder charismatischen Wortführer. Stattdessen: kollektive Intelligenz, Schwarmorganisation und kreative Dynamik. Die Proteste leben vom Miteinander – nicht von der Bühne.

Was früher Flugblätter waren, sind heute Instagram-Stories und virale Memes. Organisiert wird über Telegram, gestreamt über TikTok, diskutiert auf Discord. Wer wissen will, wie politischer Aktivismus im 21. Jahrhundert aussieht, muss nicht zum Parteitag – sondern in die DMs einer Protestgruppe.

Doch wie sieht das konkret aus?

Drei Länder, drei Aufstände, eine Botschaft

Nepal:
Hier eskalierte die Lage rasant. Nach dem Verbot von 26 Social-Media-Plattformen folgten Straßenblockaden, Demonstrationen, der Sturm auf Regierungsgebäude. Innerhalb weniger Wochen verlor die Regierung ihre Stabilität. Der Funke: ein Angriff auf digitale Freiheiten. Der Brandherd: jahrelange Korruption und Jugendfrust.

Marokko:
Die Bewegung „Gen Z 212“ benannte sich nach dem Landesvorwahlcode – ein Symbol für nationale Identität und digitale Community zugleich. Was sie forderten? Investitionen in Bildung, Gerechtigkeit, Teilhabe. Was sie bekamen? Polizeigewalt und Zensur. Dennoch blieb der Protest stark – online wie offline.

Kenia:
Hier wurde der Widerstand zur Kunstform. Während auf der Straße Tränengas und Barrikaden dominierten, entstanden gleichzeitig Songs, Wandbilder und Performances, die weltweit Aufmerksamkeit zogen. Eine Bewegung zwischen Wut und Würde – getragen von Musik, Lyrik und der Vision einer besseren Zukunft.

Warum das Europa angeht – ganz besonders Frankreich

Wer glaubt, das seien ferne Konflikte in anderen Hemisphären, irrt gewaltig. Die Energie dieser Proteste ist ansteckend. Denn die Themen sind universell: Bildungsgerechtigkeit, digitale Freiheit, politische Teilhabe. Auch in Europa – und speziell in Frankreich, das traditionell protesterprobt ist – stellen sich ähnliche Fragen.

Wie spricht der Staat mit seinen jungen Bürger:innen? Werden ihre Bedürfnisse ernst genommen? Oder sehen sie sich als digitale Dienstleister einer überalterten Demokratie, die auf „Likes“ mehr reagiert als auf Lebensrealitäten?

Die Gen Z ist nicht unpolitisch. Sie ist anders politisch. Und sie fragt nicht höflich an – sie fordert lautstark ein.

Die Stunde der Entscheidung

Fest steht: Diese Protestbewegung ist kein Strohfeuer. Sie ist Ausdruck eines globalen Generationswandels. Wer sie ignoriert, riskiert nicht nur Protest – sondern den Verlust politischer Legitimität.

Gleichzeitig birgt diese Jugendkraft enormes Potenzial: zur Erneuerung, zur Demokratisierung, zur Einbindung. Wenn Politik bereit ist zuzuhören – wirklich zuzuhören – kann aus lautem Protest konstruktiver Wandel werden.

Bleibt also die Frage: Wann hören wir endlich auf, die Generation Z als Problem zu sehen – und beginnen, sie als Lösung zu begreifen?

Autor: Andreas M. Brucker

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