Ein möglicher Friedensschluss im Ukrainekrieg rückt näher, aber Präsident Wolodymyr Selenskyj setzt klare Bedingungen: Ein künftiger Friedensplan mit Russland soll zunächst dem ukrainischen Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Diese Ankündigung erfolgte am 29. Dezember in einer Online-Pressekonferenz, kurz nach einem symbolträchtigen Treffen mit US-Präsident Donald Trump in Florida. Selenskyj betont damit einmal mehr, dass jede Lösung des Krieges nicht nur auf diplomatischen Kanälen verhandelt, sondern auch demokratisch legitimiert werden müsse.
Friedensverhandlungen mit demokratischer Rückbindung
Die Idee eines Referendums über einen möglichen Friedensvertrag ist nicht neu, erhält aber durch die jüngsten diplomatischen Entwicklungen neue Brisanz. Für Selenskyj steht fest: Ein so tiefgreifender Einschnitt in die Zukunft des Landes darf nicht ohne breite gesellschaftliche Zustimmung erfolgen. Die ukrainische Führung will sich damit offenbar gegen mögliche Vorwürfe wappnen, territoriale Zugeständnisse oder Neutralitätsversprechen hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. Die ukrainische Verfassung kennt zwar kein obligatorisches Referendum für internationale Abkommen, doch in Fragen von nationaler Souveränität und territorialer Integrität ist ein solches Votum politisch kaum vermeidbar.
Unklar bleibt indes, unter welchen Bedingungen ein solches Referendum durchgeführt werden könnte. Die seit Februar 2022 geltende Kriegsrechtsordnung – die unter anderem Männern im wehrfähigen Alter das Verlassen des Landes verbietet – bleibt laut Selenskyj in Kraft, bis der Krieg formell beendet ist. In einem Land, in dem Millionen Menschen vertrieben wurden oder im Ausland leben, wäre die Organisation eines fairen Urnengangs eine riesige logistische und rechtliche Herausforderung.
Sicherheitsgarantien aus Washington
Neben der Ankündigung eines Referendums stellte Selenskyj auch neue Elemente eines möglichen Sicherheitsrahmens vor. Die USA haben der Ukraine nach seinen Angaben umfassende Sicherheitsgarantien für eine Dauer von 15 Jahren angeboten – mit der Option auf Verlängerung. Ziel dieser Garantien sei es, eine erneute militärische Eskalation durch Russland zu verhindern und gleichzeitig eine verlässliche Perspektive für den Wiederaufbau und die politische Stabilisierung der Ukraine zu schaffen.
Selenskyj selbst zeigte sich mit der vorgeschlagenen Dauer indes unzufrieden und forderte deutlich längere Zusagen – von „dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren“. Dies ist ein Hinweis auf das tiefsitzende Misstrauen Kiews gegenüber Moskau, aber auch auf das Bemühen, den Westen dauerhaft in die sicherheitspolitische Verantwortung für die Ukraine einzubinden. Die genaue Ausgestaltung dieser Garantien – ob sie militärische Beistandspflichten beinhalten oder eher politische und wirtschaftliche Unterstützung vorsehen – ist noch nicht öffentlich bekannt.
Neue Dynamik durch US-Diplomatie
Das diplomatische Momentum, in dem diese Vorschläge entstehen, ist bemerkenswert. Erst an diesem Wochenende hatte sich Donald Trump persönlich mit Selenskyj in Florida getroffen. Vorausgegangen war ein Telefongespräch Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, das beide Seiten als „konstruktiv“ bezeichneten. Die Abfolge dieser Gespräche lässt darauf schließen, dass Washington hinter den Kulissen intensiv an einer diplomatischen Lösung arbeitet – mit Trump als zentralem Akteur.
Zudem hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine internationale Geberkonferenz für Anfang Januar in Paris angekündigt. Ziel ist es, die konkreten Beiträge der Partnerstaaten zur Sicherheitsarchitektur für die Ukraine zu koordinieren. Dabei soll auch eine überarbeitete Fassung des amerikanischen Friedensplans diskutiert werden.
Anpassungen am US-Friedensplan
Laut ukrainischen Angaben liegt bereits eine neue Version des US-Friedensplans auf dem Tisch. Die Erstfassung war aus ukrainischer Sicht zu stark an russische Forderungen angelehnt. Nun soll unter anderem die Bedingung entfallen, dass sich die Ukraine völkerrechtlich zur Nichtmitgliedschaft in der NATO verpflichtet. Auch der vollständige Rückzug ukrainischer Truppen aus dem Donbass sei in der neuen Fassung nicht mehr vorgesehen.
Stattdessen wird offenbar ein eingefrorener Frontverlauf entlang der aktuellen Linien diskutiert – ein Konzept, das vielen Ukrainern als stillschweigende Anerkennung russischer Gebietsgewinne gilt. Ob ein solcher „Waffenstillstand ohne Lösung“ in einem Referendum Zustimmung fände, ist fraglich. Die ukrainische Bevölkerung hat sich in Umfragen wiederholt klar gegen territoriale Zugeständnisse ausgesprochen.
Der politische Balanceakt ist offensichtlich: Ein tragfähiger Kompromiss mit Russland, der gleichzeitig den ukrainischen Souveränitätsanspruch wahrt, scheint kaum erreichbar. Dennoch mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten wächst – und dass das internationale Umfeld, insbesondere Washington und Paris, auf einen politischen Durchbruch drängt. Die Entscheidung, das ukrainische Volk in die letzte Phase dieses Prozesses einzubeziehen, markiert nicht nur einen demokratischen, sondern auch einen strategischen Schritt: Die politische Verantwortung für Frieden und Kompromiss soll gemeinschaftlich getragen werden.
Autor: Andreas M. Brucker
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