Tag & Nacht




Der 3. Oktober 2025 – ein Tag, der sich in die Chronik des Kriegsjournalismus eingebrannt hat.

An diesem grauen Morgen in der Ostukraine, nahe der Stadt Droujkivka, explodierte eine Drohne direkt neben einem zivilen Konvoi von Journalisten. Unter den Insassen: der französische Fotojournalist Antoni Lallican, 37 Jahre alt. Er starb noch am Tatort. Neben ihm wurde sein ukrainischer Kollege Georgiy Ivanchenko schwer verletzt. Das Auto trug deutlich sichtbar die Aufschrift „Presse“.

Die ersten Ermittlungen deuten auf einen gezielten Angriff durch eine FPV-Drohne hin – eine jener ferngesteuerten Waffen, die mit präziser Steuerung ihr Ziel zentimetergenau treffen können. In diesem Fall: ein ziviler Reporter, klar gekennzeichnet, ohne militärischen Status.

Lallican war kein Unbekannter. Er hatte den Ukrainekrieg über Jahre hinweg dokumentiert, war zuvor in Syrien, im Libanon, in den palästinensischen Gebieten im Einsatz. Seine Fotografien – oft rau, eindringlich, unbequem – hatten ihm internationale Anerkennung eingebracht. 2024 wurde er mit dem Victor-Hugo-Preis für engagierte Fotografie ausgezeichnet.

Doch nun steht nicht sein Werk im Mittelpunkt – sondern die Umstände seines Todes.


Kriegsverbrechen? Die französische Justiz erhebt Anklage

Noch am selben Tag leitete die französische Antiterror-Staatsanwaltschaft (PNAT) ein Verfahren wegen Kriegsverbrechens ein. Ein gewichtiger Schritt. Denn hier geht es nicht nur um Aufklärung – sondern um ein Signal: Wenn ein Journalist gezielt getötet wird, steht das nicht nur moralisch, sondern auch juristisch außerhalb jeder Legitimität.

Mit dem Begriff „Kriegsverbrechen“ bewegt sich die Justiz auf heiklem Terrain. Er bedeutet: Diese Tat könnte gegen internationales Kriegsrecht verstoßen – etwa gegen die Genfer Konventionen, die den Schutz von Zivilisten und Pressevertretern regeln. Und: Die Tat könnte geahndet werden.

Die Ermittlungen übernimmt das französische Zentralamt zur Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein juristisches Schwergewicht.


Zwischen Frontlinie und Gerichtssaal – der schwierige Weg der Aufklärung

Die Liste der Hürden ist lang.

Erstens: die Frage nach der Zuständigkeit. Welches Gericht soll urteilen? Französische Justiz? Ein internationales Tribunal? Die Ukraine selbst?

Zweitens: die Beweislage. Um ein Kriegsverbrechen nachzuweisen, reicht es nicht, dass ein Journalist stirbt. Es braucht konkrete Belege: Wrackteile des Drohnenmodells, digitale Steuerungsspuren, Radaraufzeichnungen, möglicherweise Zeugenaussagen aus der Kommandokette. Vor allem aber braucht es: die Absicht.

Denn ob ein Angriff gezielt oder „nur“ fahrlässig war, entscheidet über Schuld oder Straffreiheit. Ein gezielter Angriff auf Pressevertreter gilt klar als völkerrechtswidrig. Und genau das soll nun bewiesen werden.

Drittens: die Verantwortlichkeit. Wer hat die Drohne gesteuert? Wer hat den Befehl gegeben? Wer trägt letztlich die politische oder militärische Verantwortung?

Im Raum steht ein Verdacht – aber noch keine gerichtsfesten Beweise. Noch nicht.


Was dieser Fall verändern könnte

Sollte Frankreich in diesem Fall Anklage erheben – und ein Verfahren durchziehen –, hätte das Signalwirkung.

Denn bislang gilt: Journalisten sterben im Krieg, aber selten wird ermittelt. Noch seltener landet ein Fall vor Gericht. Die meisten Taten verschwinden im Nebel des Krieges, zwischen diplomatischem Kalkül und militärischer Ohnmacht.

Hier aber gibt es eine klare Spur. Eine Identität. Einen bekannten Reporter. Ein präzises Angriffsmuster. Und ein Land – Frankreich –, das nicht bereit ist, das einfach zu schlucken.

Wenn die Justiz hier erfolgreich ist, könnte sie ein Fundament legen für neue internationale Standards: Wer gezielt Journalisten angreift, muss mit Konsequenzen rechnen. Auch Jahre später. Auch über Grenzen hinweg.


Der lange Schatten der Realität

Und doch: Euphorie ist fehl am Platz.

Denn in der Praxis sind solche Ermittlungen oft zäh, verlaufen meist im Sande. Beweise verschwinden, Zeugen verstummen, Staaten blockieren. Und: Die wirklichen Täter sitzen oft außerhalb der Reichweite westlicher Justiz.

Die Gefahr, dass auch dieser Fall in einem politischen Patt endet, ist real. Der Vorwurf „Kriegsverbrechen“ ist juristisch aufgeladen, aber diplomatisch heikel.

Was passiert, wenn Russland jede Beteiligung abstreitet? Wenn Beweise fehlen? Wenn internationale Zusammenarbeit verweigert wird?


Ein Symbol, das bleibt

So oder so: Der Name Antoni Lallican wird nicht verschwinden.

Er steht heute für mehr als nur einen toten Journalisten. Er steht für die Frage, wie weit Kriegsparteien gehen – und wie stark unser Wille ist, das Völkerrecht nicht nur auf dem Papier zu verteidigen.

Sein Tod könnte der Moment gewesen sein, in dem ein Rechtsstaat sagte: „Bis hierhin – und nicht weiter.“

Oder?

Autor: Andreas M. Brucker

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