Mitten in der Energiekrise geht die Kohlekraftanlage von Saint-Avold im französischen Departement Moselle erneut ans Netz. Eine Entscheidung, die in Zeiten der Klimakrise mindestens überrascht – schließlich hatte Präsident Macron die Abkehr von der Kohle bis 2027 fest versprochen. Saint-Avold, eine der letzten Kohleanlagen Frankreichs, läuft also wieder und produziert Strom für den Winter. Wie konnte es so weit kommen? Ein genauer Blick auf die Hintergründe zeigt die Brisanz der Lage.
Widersprüche in der Klimapolitik
Saint-Avold liefert in voller Fahrt etwa ein Drittel des Strombedarfs der Region Grand Est. Wenn wir uns die Lage mal so vorstellen: In einer Zeit, in der der Klimawandel immer drängender wird und Naturkatastrophen weltweit zunehmen, setzt Frankreich erneut auf Kohle – eine Energiequelle, die als einer der größten Treiber des Treibhausgasausstoßes gilt. Vor Kurzem noch hieß es, dass der Klimaschutz oberste Priorität hat und kohlenstofffreie Alternativen für die Stromerzeugung die Zukunft sind. Doch mit der nun beschlossenen Winteraktivierung des Kohlekraftwerks scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Die Klimakrise bleibt ein Dauerthema, und Frankreich hat nicht nur symbolisch versprochen, Vorreiter beim Klimaschutz zu sein. Die Rückkehr zur Kohle, sei es auch nur temporär, wirft nun die Frage auf, wie es um die Ernsthaftigkeit dieser Klimaversprechen steht. Setzt das Land beim ersten Anzeichen von Kälte seine Verpflichtungen einfach wieder außer Kraft?
Ungewisse Zukunft für die Mitarbeitenden
Für die Beschäftigten der Anlage in Saint-Avold, die noch immer um ihren Arbeitsplatz bangen, stellt die erneute Inbetriebnahme kaum eine Erleichterung dar. Die Unsicherheit für die etwa 500 Arbeitsplätze bleibt – ein erheblicher Teil davon besteht ohnehin aus befristeten Verträgen, die im kommenden April auslaufen. Viele der Angestellten wissen schlicht nicht, ob sie im nächsten Winter noch dabei sind. Besonders brisant: Die Frage, ob das Werk langfristig auf klimafreundlichere Alternativen wie Biogas oder Biomasse umgestellt werden kann, bleibt ungeklärt. Seit September 2023 gibt es einen Streikvorbehalt, und auch wenn die Arbeit aktuell weiterläuft, ist die Nervosität am Standort spürbar.
Das verschwundene Gesetzesvorhaben und der Spagat der Politik
Die mögliche Umstellung von Kohlekraftwerken auf nachhaltigere Energieformen stand schon im Raum. Auch für die Anlage in Saint-Avold war die Umrüstung auf Biogas oder Biomasse angekündigt, ein notwendiger Schritt für die Mitarbeitenden und die Region. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde allerdings zunächst verabschiedet und dann auf den letzten Metern gestrichen. Der Fall zeigt, wie fragil solche Prozesse sein können und welche Schwankungen die französische Energiepolitik derzeit durchmacht.
Daniel Gremillet, ein Senator aus den Vogesen, versucht nun, das Anliegen per Gesetzesänderung wieder auf die politische Agenda zu bringen. Ob er damit Erfolg haben wird? Das bleibt offen, gerade weil die endgültige Entscheidung auf einen sogenannten „49.3“-Beschluss fallen könnte – eine Art Regierungsdekret, bei dem das Parlament nicht mit abstimmt. In einem Land, das sich als Klimavorreiter sieht, wirkt das Hin und Her ernüchternd.
Fehlen uns die Alternativen?
Die Frage drängt sich auf: Gibt es schlicht keine Alternative zu Kohlekraft in diesem Winter? Es scheint fast so. Denn die europäische Energieversorgung steht unter einem erheblichen Druck. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob man nicht vor Jahrzehnten in nachhaltige Energien hätte investieren müssen – so dass das Thema Kohle heute längst Vergangenheit sein könnte.
Der schnelle Umbau hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung verlangt enorme Investitionen. Doch Frankreich hat gerade hier eine schwere Entscheidung vor sich, die das Land teurer zu stehen kommen könnte, wenn keine klare Richtung eingeschlagen wird. Nur als Übergang zu verstehen, könnte die vorläufige Reaktivierung der Kohle-Anlage aus reiner Notwendigkeit gesehen werden – oder als Entscheidung mit Langzeitfolgen.
Wie die Kohlezukunft auch die Sozialgerechtigkeit betrifft
Diese Diskussion hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Dimension. Die Abhängigkeit der Region Grand Est von der Energieproduktion in Saint-Avold zeigt, dass jede Entscheidung über die Zukunft des Werks auch das soziale Gleichgewicht gefährden kann. Hunderte Arbeitsplätze hängen an der Anlage, und wenn diese plötzlich schließt, stehen zahlreiche Familien ohne Einkommen da. Die Idee eines sozial gerechten Strukturwandels fordert, dass Menschen in solchen Regionen nicht einfach zurückgelassen werden, während sie gleichzeitig für die Folgen der globalen Klimakrise in Mithaftung genommen werden.
Was wäre eine gerechte Lösung? Eine Umschulung und Neuqualifizierung der Beschäftigten für andere Branchen könnte ein Weg sein. Dies ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn die Regierung tatsächlich die Mittel bereitstellt, um diese Menschen in alternative Arbeitsfelder zu integrieren. Der Druck, fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen, ist riesig – doch ohne gerechte Maßnahmen, um die sozialen Folgen abzufedern, ist die Nachhaltigkeit nur auf dem Papier Realität.
Ein Land im Balanceakt: Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit
Frankreich kämpft mit einem komplexen Balanceakt zwischen dem Schutz des Klimas und der Sicherstellung einer zuverlässigen Energieversorgung. Auch wenn Kohlekraftwerke langfristig stillgelegt werden sollen, bleibt Saint-Avold ein Symbol dafür, wie schwer der Übergang fällt. Das Land sieht sich nicht allein dieser Herausforderung gegenüber. Andere europäische Staaten stehen vor ähnlichen Entscheidungen – und oft wird dabei eine schnelle und günstige Lösung gesucht, die jedoch keine dauerhafte Antwort bietet. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie, die Förderung von Wasserstoff und die Erforschung neuer Technologien könnten das Blatt jedoch wenden, wenn sie konsequent umgesetzt werden.
Ein Weckruf für die französische Klimapolitik?
Am Ende bleibt die Wiederinbetriebnahme von Saint-Avold ein Symbol für eine tiefere Herausforderung. Der Klimawandel drängt und verlangt klare und entschlossene Maßnahmen – nicht nur Ankündigungen und Versprechen. Doch genau das fehlt in Frankreich gerade. Frankreich muss die Abkehr von fossilen Energieträgern konsequent verfolgen und zugleich den Menschen in den betroffenen Regionen eine Perspektive bieten.
Ohne klare Entscheidungen über die Zukunft der Kohlekraftwerke und ihrer Belegschaften könnte die französische Energiepolitik langfristig an Glaubwürdigkeit verlieren. Der nächste Winter wird zeigen, ob Saint-Avold nur ein letzter Rückfall ist oder ein Anstoß für tiefere Reformen in der französischen Energiepolitik.
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