Tag & Nacht


Es gibt Tage, an denen das Meer schweigsamer wirkt als sonst, fast wie ein alter Freund, der nach einer langen Pause wieder gegenüber sitzt und erst einmal nichts sagt. An einem dieser stillen Morgen legt La Rochelle seine Hafengerüche frei – eine Mischung aus Salz, Seetang und den Geschichten der Männer und Frauen, die seit Generationen von diesem Wasser leben. Ein bisschen rau, klar und doch voller Vertrautheit. Genau hier, in diesem eigenwilligen Gleichgewicht, beginnt die vorsichtige Rückkehr der Pétoncle-Fischerei.

Ein paar Boote, nicht viele, tasten sich nach drei Jahren Stillstand zurück in die Gewässer des Pertuis Breton. Drei Jahre, in denen die Muschelbänke litten, in denen ganze Bestände kollabierten und die Fischer mit verschränkten Armen am Kai standen, unfreiwillig. Sie mussten zuschauen, wie eine Landschaft unter Wasser regelrecht zusammenknickte. Und nun – ein zaghaftes Wiedersehen. Nicht triumphal. Eher wie ein erster Schritt nach einer schweren Verletzung, bei dem man selbst noch nicht so recht weiß, ob das Bein wieder trägt.

Die Pétoncle, eine kleine, runde Jakobsmuschelart, gehört seit jeher zu den kulinarischen Schätzen dieser Region. Man findet sie sonst häufig auf Restaurantkarten, reduziert auf ihren Geschmack. Doch hinter jeder dieser kleinen Muscheln steckt ein ganzer Kosmos aus Jahreszeiten, Strömungen, Temperaturwechseln und all den unsichtbaren Kräften, die das marine Leben beeinflussen. Ein Kosmos, der in den letzten Jahren ins Wanken geriet.

Und so steht La Rochelle nun vor einem Wendepunkt. Ein Wendepunkt, der sich nicht laut anfühlt – eher wie das sanfte Knirschen eines Bootsrumpfs an der Mole, wenn die Leinen wieder ein wenig nachgeben.


Die Regeln sind streng. Strenger als alles, was die Fischer hier seit Langem kennen. Fünf Tage. Mehr nicht.

Fünf Mittwochvormittage – 19. und 26. November, dann 3., 10. und 17. Dezember. Als würde man einem Kind, das lange krank war, nur kleine Schritte erlauben. Der Pertuis Breton ist geöffnet, doch der Pertuis d’Antioche bleibt geschlossen. Die Behörden sagen: „Zum Schutz der Bestände.“ Die Fischer nicken, manche überzeugt, manche nur, weil ihnen wenig anderes übrig bleibt.

Am ersten dieser Mittwoche fuhren gerade einmal zehn Boote aus dem Hafen von La Rochelle. Zehn. „Früher standen wir hier dicht an dicht“, murmelt ein älterer Fischer, der sich seine fingerlosen Handschuhe zurechtrückt. „Jetzt fühlt es sich fast an wie Nebensaison, selbst wenn die Sonne hochsteht.“

Das Meer schien anfangs nicht wirklich bereit für eine Rückkehr. Dreißig Kilo in zwei Stunden, so berichten einige Männer nach der ersten Ausfahrt – doch neunzig Prozent davon tot. Muscheln, die zwar noch gesammelt werden konnten, aber keine Hoffnung mehr trugen. Wie sollte das Mut machen?


Es gibt Momente, in denen die Natur einem klar macht, dass menschliche Pläne nicht viel zählen. Diese fragile Situation der Pétoncles gehört sicher dazu.

Seit dem Massensterben 2022 meldeten Biologen und Berufsfischer über Monate hinweg denselben Befund: zu wenig Erneuerung, zu viele Jungtiere, die es nicht bis ins Erwachsenenalter schaffen. So etwas trifft nicht nur die Statistik. Es trifft die Herzen derer, die ihr Leben auf dem Wasser verbringen. Du stehst da, siehst unzählige kleine Muschelansätze im Sediment, und trotzdem gelingt es ihnen kaum, größer zu werden. Fast wie ein Garten, der voller Knospen steht und doch kaum blüht und keine Früchte hervorbringt.

Die Gründe sind komplex. Es geht um Temperaturspitzen im Sommer, um mögliche Krankheiten, um Schwankungen im Salzgehalt und vielleicht auch um Stoffe, die der Mensch ins Meer entlässt. Die Fischer sprechen darüber nicht gern, aber insgeheim wissen viele: „Das Meer zeigt uns gerade seine Grenzen.“ Und jeder weiß, dass La Rochelle nicht die einzige Region ist, die solche Fragilität spürt.

Für die Wirtschaft bedeutet dies natürlich eine Herausforderung. Eine Ausfahrt kostet Diesel, Zeit, Kraft. Wenn man am Ende mehr verliert als verdient – wozu das Ganze? Die Seefahrt ist kein romantisches Hobby. Sie ist ein hartes Brot. Und wenn jemand sagt: „So lohnt sich das nicht, das ist nur Geld vernichten“, dann spürt man, wie eng der Gürtel schon sitzt.


Und doch, trotz all der Skepsis, mischt sich in diese Vorsicht ein Funken Hoffnung. Die Rückkehr der Pétoncle-Fischerei – so klein sie ausfällt – trägt eine starke symbolische Wirkung. Die Fischer kehren zu einem Teil ihres Jahreskreislaufs zurück, zu einem Stück Identität.

Es ist, wie wenn man nach langem Winter wieder den Garten betritt und den ersten warmen Boden unter den Fingern fühlt. Noch blüht nichts, aber der Boden lebt.

Der regionale Ausschuss der Seefischerei betont immer wieder: Die Pétoncle bleibt empfindlich. Aber Empfindlichkeit bedeutet nicht zwangsläufig Ohnmacht. Es bedeutet nur, dass jeder Schritt besonders bewusst erfolgen muss. Und so läuft in der Region ein Experiment – ein gemeinsames, von Behörden, Wissenschaftlern und Fischern getragenes Experiment, das untersucht: Lässt sich nachhaltiger Wiederaufbau und wirtschaftlicher Betrieb unter einen Hut bringen?

Eine Frage, die sich heute nicht abschließend beantworten lässt, aber mit jedem Mittwochausflug näher an eine Antwort rückt.


Ein Fischer aus Angoulins erzählt mir bei einem Kaffee am Quai, dass er sich inzwischen viel mehr als früher mit Biologen austauscht. „Früher haben wir uns gedacht: Ach, das Meer macht das schon. Jetzt wissen wir: Wenn wir genau schauen, können wir verhindern, dass alles wieder schiefläuft.“ Dann lächelt er kurz und winkt ab, als wolle er seine plötzliche Nachdenklichkeit nicht zu groß werden lassen. „Und na klar, am Ende wollen wir doch auch nur ordentlich arbeiten und heimkommen, ohne dass der Monat mit roten Zahlen endet.“

Interessant ist, wie sich das Denken verändert. Vor zehn Jahren hätte man selten erlebt, dass Fischer und Wissenschaftler in dieser Intensität zusammenarbeiten. Heute teilen sie Daten, manchmal sogar Boote, und es finden sich Worte wie „Anpassungsmodell“, „Ertragsfenster“ oder „Reproduktionsmessung“ im Vokabular jener Männer wieder, die früher schlicht sagten: „Wir schauen mal, wie voll das Netz wird.“

Eine kleine Anekdote am Rand: Ein junger Fischer erzählte mir, wie er vor ein paar Tagen eine Gruppe Touristen am Hafen belauscht hatte. „Der eine meinte: ‚Warum fahren die überhaupt raus, wenn da kaum was drin ist?‘ Ich wollte eigentlich etwas sagen, hab’s aber gelassen. Die Leute wissen halt nicht, wie wichtig so ein Neustart ist – auch wenn’s erst mal wenig bringt.“ Er zuckte die Schultern. „Manchmal muss man’s einfach machen, selbst wenn das Ergebnis mickrig aussieht.“


Das Meer entscheidet, nicht die Bürokratie. Doch die Bürokratie legt die Rahmen fest, und in diesem Fall sind diese Rahmen wie ein schmaler Pfad zwischen zwei Felswänden.

Der Kalender steht fest. Die Fangmengen sind streng limitiert. Die Kontrollen intensiv. Und die Fischer wissen genau: Jeder Regelverstoß würde nicht nur Sanktionen bringen, sondern die fragile Stimmung in der Region gefährden. Vertrauen ist hier ein kostbares Gut.

Gleichzeitig ahnt man, dass die Zukunft dieser Fischerei von weit mehr abhängt als von fünf Versuchstagen im Jahr. Was passiert, wenn der nächste Sommer wieder zu heiß wird? Was passiert, wenn die Strömungen sich erneut verschieben? Und – vielleicht die wichtigste Frage – was, wenn die Kosten für Diesel weiter steigen? Die Wirtschaftlichkeit hängt an vielen Fäden, und manchmal kommen einem diese Fäden ziemlich dünn vor.

Doch gerade deshalb ergibt sich hier ein Moment, der von Bedeutung ist. Denn selten zuvor stand die Frage so deutlich im Raum: Wie lässt sich eine traditionelle, kleinräumige Fischerei erfolgreich ins 21. Jahrhundert führen?


Wenn ich dort bin, gehe ich manchmal früh morgens an den Hafen von La Rochelle, einfach so, weil es mich beruhigt. Die Stadt hat viele schöne Ecken, vom Altstadtkern bis zu den Türmen am Hafen, doch hier, wo der Boden nach Fisch riecht und die Luft etwas Kratziges in sich trägt, spürt man die wahren Nerven der Region.

In diesen Tagen beobachtet man dort Fischer, die mit einem Blick auf die Wetterkarten fast so wirken wie Piloten. Daten, Tabellen, Prognosen – all das spielt plötzlich eine größere Rolle als früher. Junge Familien stehen hinter ihnen und hoffen, dass sich die Branche stabilisiert. Kleine Betriebe, kleine Einkommen, große Abhängigkeit vom Meer.

Das Bild, das sich entwickelt, ist keines von Niedergang, sondern eines von Anpassung. Manche würden sagen: „Modernisierung.“ Andere würden eher flüstern: „Notwendigkeit.“ Doch in beiden Fällen zeigt sich ein Fortschrittsgedanke, der weder laut noch aggressiv ist – eher ein leises, aber bestimmtes Nach-vorne-Gehen.


Die Wiederaufnahme der Pétoncle-Fischerei ist deshalb mehr als nur ein Testlauf. Sie ist ein Spiegel. Ein Spiegel, der der Region zeigt, wie verletzlich sie ist, aber auch, wie viel Kraft in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Umwelt steckt.

Und vielleicht ist das die eigentliche Lehre dieses herbstlichen Neustarts: dass man nicht mit Gewalt zurück ins alte Tempo springen muss. Dass Remobilisierung auch langsam, vorsichtig und von Zweifeln begleitet geschehen darf. Und dass Geduld manchmal die beste Investition ist.

„Wir probieren es“, sagt ein Fischer, der gerade seinen Kutter für die nächste Ausfahrt überprüft. „Und wenn’s diesmal noch nicht richtig klappt, probieren wir’s nochmal. Es geht ja um mehr als ums Geld. Es geht darum, nicht aufzugeben.“ Dann grinst er und fügt in fast schon kumpeligem Ton hinzu: „Sonst wär das ja alles komplett für die Katz.“


Doch am Ende bleibt eine Frage, die man nicht leicht beiseiteschieben kann: Wie viel Zeit bleibt uns noch, das Gleichgewicht wirklich wiederzufinden?

Und eine zweite: Wird die Region den Mut bewahren, auch dann vorsichtig zu bleiben, wenn die ersten besseren Fangmeldungen eintreffen?

Die Zukunft der Pétoncle-Fischerei hängt davon ab. Von Mut und Maß – und von der Bereitschaft, das Meer nicht als Schatzkiste zu sehen, sondern als Partner, der Respekt erwartet.

Eines steht fest: Die kommenden Wochen im Pertuis Breton werden entscheidend. Nicht, weil sie riesige Mengen Muscheln bringen, sondern weil sie zeigen, ob ein nachhaltiger Neustart möglich ist. Ein Neustart, der nicht nur wirtschaftlich zählt, sondern auch emotional, kulturell und ökologisch.

Die Fischer von La Rochelle setzen darauf. Und mit ihnen eine ganze Region, die gelernt hat, dass selbst kleine Muscheln große Geschichten erzählen.

Ein Artikel von M. Legrand

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!