Tag & Nacht




Am 26. Juni, Weltdrogentag, richtet sich der Blick auf ein Thema, das Staaten und Gesellschaften gleichermaßen herausfordert – und das dennoch politisch stiefmütterlich behandelt wird: der Umgang mit Drogen, ihren Märkten, ihren Konsumenten.

Während Deutschland noch immer um einen konsistenten Kurs ringt, schlägt Frankreich mit aller Härte zu. Ein neues Gesetz, verabschiedet im Frühjahr 2025, erklärt der organisierten Drogenkriminalität den Krieg: Spezialstaatsanwälte, verschärfte Haftbedingungen, die Möglichkeit zur Enteignung, ein erweitertes Kronzeugenprogramm. Der Innenminister spricht von einem „Tsunami des Kokains“ und kriminalisiert zugleich die Konsumenten der Komplizenschaft mit mafiösen Strukturen.

Doch die Realität ist komplexer – und sie lässt sich nicht mit Verboten wegregeln.

Frankreichs neue Härte: Abschreckung oder Symbolpolitik?

Frankreich hat verstanden, dass es ein Problem hat. Der Konsum von Kokain, Cannabis und synthetischen Drogen erreicht Rekordhöhen. Die Drogenwirtschaft ist längst nicht mehr Randphänomen – sie durchzieht Vorstädte, Hafenstädte, Freizeitkultur. Mit ihr wächst die Gewalt: in Marseille, Lyon, Grenoble, selbst in Gefängnissen.

Doch auf das Drogenelend antwortet der Staat mit militärischer Sprache. Polizeiaktionen, Bargeldverbot, Fahndungsdruck – das sind die Mittel. Die Botschaft: Härte schützt. Der Subtext: Hilfe kostet.

Therapieprogramme, Prävention, soziale Reintegration? Fehlanzeige. Die französische Linie wirkt, als wolle sie das Problem eindämmen, indem sie es verdrängt und die Symptome bekämpft – nicht indem sie es versteht.

Deutschland: zwischen Halbherzigkeit und Pragmatismus

Deutschland wiederum zeigt sich mutiger in der Theorie – und zögerlicher in der Praxis. Die Cannabislegalisierung, medial groß angekündigt, bleibt fragmentarisch: Modellprojekte statt flächendeckender Umsetzung, rechtliche Grauzonen statt klarer Vorgaben. Gleichzeitig fehlen bundesweit koordinierte Suchtstrategien. Drogenkonsumräume gibt es nur in wenigen Städten, und auch dort unter permanentem Legitimationsdruck.

Es ist ein Umgang, der vorsichtig liberal wirken möchte, ohne Verantwortung wirklich zu übernehmen. Wo Frankreich repressiv handelt, verliert sich Deutschland im halbherzigen Mittelweg.

Was fehlt, ist das Dritte: die Fürsorge

Der Mensch hinter der Sucht verschwindet in beiden Modellen. Frankreich blendet ihn aus. Deutschland übersieht ihn.

Dabei ist klar: Repression kann punktuell notwendig sein – gegen Dealer, gegen organisierte Strukturen. Regulierung kann sinnvoll sein – etwa bei Cannabis, wo Entkriminalisierung Märkte kontrollieren und Konsumrisiken verringern kann.

Doch der Kern liegt dazwischen: in der Fürsorge. In der Bereitschaft, Sucht als Erkrankung zu behandeln – nicht als moralisches Versagen. In der Einsicht, dass Prävention nur wirkt, wenn sie nah an den Lebenswelten der Menschen stattfindet – und nicht in Broschüren endet. In der Erkenntnis, dass Reintegration mehr ist als Therapievorschläge – sie bedeutet sozialen Anschluss, Arbeit, Würde.

Europäische Verantwortung: mehr als nationale Modelle

Es ist an der Zeit, dass sich die europäische Drogenpolitik von nationalen Symbolkämpfen löst. Die Probleme sind grenzüberschreitend – ihre Lösungen müssen es ebenfalls sein. Dazu gehört eine koordinierte Strafverfolgung ebenso wie ein gemeinsames Verständnis von Regulierung und Versorgung. Dazu gehören Daten, Austausch, gemeinsame Standards.

Frankreich und Deutschland könnten gemeinsam vorangehen – wenn sie ihre jeweiligen Schwächen überwinden: die französische Fixierung auf Strafe, die deutsche Angst vor klarer Linie.

Was bleibt vom Weltdrogentag?

Ein politischer Weckruf – kein Anlass zum Schulterklopfen. Weder repressives Pathos noch liberale Rhetorik helfen weiter, solange die Betroffenen allein bleiben. Es braucht eine nüchterne, verantwortungsvolle Politik, die drei Säulen vereint:

  1. Repression dort, wo Gewalt und organisierte Kriminalität herrschen.
  2. Regulierung dort, wo Märkte kontrollierbar sind.
  3. Fürsorge dort, wo Menschen Hilfe brauchen.

Zwischen Frankreichs Härte und Deutschlands Halbherzigkeit liegt Raum für politischen Realismus – und humanitäre Vernunft.

Von Andreas M. Brucker

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