Lange galt Korsika als ein mediterraner Sehnsuchtsort – wildromantisch, unberührt, kulturell eigenständig. Doch die touristische Strahlkraft der „Île de Beauté“ scheint zu verblassen. Nach Jahren des Wachstums verzeichnet die Insel rückläufige Besucherzahlen. Im Zentrum der Kritik: überhöhte Preise und eine mangelhafte Anpassung an neue touristische Realitäten.
Ein Signal mit Langzeitwirkung?
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Im Jahr 2023 sank die Zahl der Übernachtungen auf Korsika um 8,1 % im Vergleich zum Vorjahr – ein Rückgang um über 820.000 Nächte. Zwar erholte sich der Sektor im Sommerhalbjahr 2024 leicht, mit einem Plus von 6,7 % zwischen April und September, doch die Schwankungen verunsichern Hoteliers, Gastronomen und Reiseveranstalter.
Die Ursachen sind vielfältig. Neben der wirtschaftlichen Zurückhaltung vieler Haushalte aufgrund der Inflation ist auch ein verändertes Reiseverhalten zu beobachten: Spontanbuchungen ersetzen die traditionelle Frühbuchung, Aufenthalte verkürzen sich, und Urlauber wählen zunehmend günstigere Unterkünfte. Besonders stark ausgeprägt ist diese Entwicklung bei französischen Familien, die bislang den Kern der Sommerkundschaft stellten.
Diese Veränderungen sind keineswegs isoliert. Auch in anderen französischen Urlaubsregionen – etwa in der Provence oder auf den Atlantikinseln – melden Anbieter eine gestiegene Preissensibilität. Doch auf Korsika scheint sich der Trend zu verschärfen.
Preisniveau als Stolperstein
Ein zentrales Problem: die Kosten. Übernachtungspreise, Mietwagen, Restaurantbesuche, Freizeitaktivitäten – vieles erscheint den Reisenden auf Korsika teurer als vergleichbare Angebote auf dem französischen Festland oder in anderen Mittelmeerregionen. Während der Hochsaison sind erschwingliche Hotelzimmer kaum mehr zu finden, selbst in weniger frequentierten Gegenden. Ferienwohnungen, stark nachgefragt, haben besonders entlang der Küste ein Preisniveau erreicht, das selbst zahlungskräftige Gäste abschreckt.
Die Preisentwicklung ist dabei nicht nur Ausdruck saisonaler Nachfrage. Auch strukturelle Faktoren spielen eine Rolle. Die Wirtschaft Korsikas ist durch ihre Insellage mit höheren Logistikkosten konfrontiert. Lebensmittel, Treibstoff oder Konsumgüter müssen auf die Insel transportiert werden, was die Endpreise nach oben treibt. Zugleich bevorzugen viele Anbieter regionale Produkte und kurze Lieferketten – aus ökologischer Sicht begrüßenswert, aus Sicht des Preisbewusstseins vieler Urlauber jedoch ein Dilemma.
Der Boom von Plattformen wie Airbnb hat die Situation weiter verschärft. In beliebten Küstenorten wie Porto-Vecchio oder Calvi stiegen die Mietpreise binnen weniger Jahre deutlich an – mit entsprechenden Auswirkungen auf die touristische Preisstruktur und die Verfügbarkeit von Wohnraum für Einheimische.
Zwischen Marketingstrategie und struktureller Neuausrichtung
Die Reaktionen der Entscheidungsträger bleiben nicht aus. Die Collectivité de Corse hat ein System zur subventionierten Sicherung von Flugverbindungen außerhalb der Saison aufgelegt. Ziel ist es, ganzjährig ein Mindestmaß an touristischem Verkehr sicherzustellen und die saisonale Überlastung zu mildern.
Zudem gewinnt das Leitbild eines „sanften Tourismus“ an Boden. Agritourismus und nachhaltige Angebote – von Olivenölverkostungen über Weinführungen bis zu Besuchen auf Ziegenfarmen – sollen neue Zielgruppen ansprechen. Auch in der Gastronomie setzt man verstärkt auf saisonale, lokale Küche. Diese Initiativen sind Teil einer strategischen Neupositionierung: weg vom Massentourismus, hin zu einem qualitativ hochwertigen, umweltverträglichen Modell.
Erste Erfolge zeichnen sich ab. Zwischen Januar und Mai 2025 verzeichnete die Insel einen Anstieg der Übernachtungen um 5,88 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die internationale Nachfrage legte um knapp 7 % zu, die nationale um rund 5 %. Diese Entwicklung deutet auf eine leichte Rehabilitierung des touristischen Images hin – auch wenn die Zahlen noch unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie bleiben.
Korsika zwischen Authentizität und wirtschaftlicher Notwendigkeit
Der Balanceakt zwischen Authentizität, wirtschaftlicher Tragfähigkeit und ökologischer Verantwortung ist anspruchsvoll – zumal sich geopolitische Unsicherheiten, wirtschaftliche Belastungen der Haushalte und ein sich wandelnder Reisemarkt überlagern.
Die Frage lautet nicht mehr, ob sich der Tourismus auf der Insel verändern muss, sondern wie. Gelingt es, die Kostenstruktur transparenter und kundenfreundlicher zu gestalten, ohne dabei Qualität und regionale Wertschöpfung zu opfern? Können lokale Akteure in einer gemeinsamen Strategie agieren, statt in einer fragmentierten Wettbewerbslogik zu verharren?
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die derzeit angestoßenen Reformen tragfähig sind – oder ob die Insel Gefahr läuft, in der touristischen Peripherie Europas zu verschwinden. Ihre landschaftliche und kulturelle Einzigartigkeit bleibt unbestritten. Doch um als Reiseziel dauerhaft attraktiv zu bleiben, muss Korsika mehr bieten als schöne Bilder – es braucht ein überzeugendes, kohärentes Konzept für einen Tourismus der Zukunft.
Autor: P. Tiko
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