Tag & Nacht




Wie weit geht eine Großmutter für ihre Enkel? Fatima Kollab kennt die Antwort – sie kämpft seit über eineinhalb Jahren unermüdlich für das Leben ihrer Liebsten, festgehalten in einem der gefährlichsten Gebiete der Welt: dem Gazastreifen. Ihr Fall steht sinnbildlich für das menschliche Drama, das sich tagtäglich im Schatten globaler Politik abspielt.


Eine Familienbande, die nicht bricht

Fatima Kollab, eine gebürtige Französin mit algerischen Wurzeln, lebt im französischen Département Essonne. Ihr Herz jedoch hängt an vier ihrer Enkel und deren Mutter – sie sind in Gaza gestrandet, heimatlos, hungrig, verletzt. Eine von Bomben zerschlagene Welt ist ihr einziger Rückzugsort. Der jüngste Enkel, nur noch Haut und Knochen, kämpft mit dem Tod. Ein anderer, schwer krank, wurde zur Behandlung in die Westbank gebracht – allein, ohne Familie, ohne Hilfe.

Fatima, einst Französischlehrerin in Gaza, kennt das Leben dort – aber nie hätte sie sich vorstellen können, dass sie eines Tages aus der Ferne hilflos zusehen muss, wie ihre Familie ums Überleben ringt. Und dass ihr eigenes Land dabei nur zögerlich reagiert.


Behörden-Wirrwarr statt Mitgefühl

Seit Beginn der israelischen Offensive im Oktober 2023 hat Fatima Briefe geschrieben, Petitionen gestartet, gekämpft. An das französische Außenministerium, an Präsident Macron – sie hat alles versucht. Sogar die Justiz hat sie eingeschaltet. Ihr Anwalt, Maître Julien Martin, reichte Klage ein. Eine Antwort kam tatsächlich vom Präsidenten – er bat um die Namen der betroffenen Personen. Danach: Stille.

Im Mai 2025 folgte der nächste Schlag ins Gesicht: Der französische Staatsrat wies ihren Antrag auf Reisedokumente ab. Die Begründung? Die betroffenen Familienangehörigen seien nicht „besonders“ gefährdet – als ob es im Inferno von Gaza überhaupt noch irgendeinen Schutz gäbe. Fatimas Reaktion: „Sie sagen, das sind nicht meine direkten Kinder – aber ihr Vater ist tot, ihre Großväter auch. Es gibt nur noch ihre Mutter und mich.“

Was soll man darauf noch sagen?


Wenn Hilfe Glückssache ist

Seit dem 1. November 2023 konnten über 260 Menschen Gaza verlassen – französische Staatsbürger, ihre Familien, Mitarbeiter französischer Organisationen. Gut so. Doch es bleibt ein fader Beigeschmack: Warum klappt das bei einigen – und bei anderen nicht?

Die Antwort scheint in den Details zu liegen: Staatsbürgerschaft, direkte Verwandtschaft, bürokratische Definitionen. Fatimas Enkel passen offenbar nicht ins Raster.

Ein bisschen wirkt es wie eine Lotterie: Wer hat das Glück, rechtzeitig auf der Liste zu stehen?


In Frankreich angekommen – aber nicht wirklich sicher

Die, die es geschafft haben, sind oft noch lange nicht gut versorgt. Organisationen wie France Horizon bemühen sich, Unterkünfte bereitzustellen. Doch Berichte über schimmelnde Wohnungen und verdorbene Lebensmittel werfen ein düsteres Licht auf die Realität. Und viele der Evakuierten harren im ägyptischen Kairo aus – ohne Visum, ohne Perspektive.

Wie fühlt es sich an, wenn man endlich aus Gaza raus ist – nur um dann in einem anderen bürokratischen Labyrinth steckenzubleiben?


Der Alltag im Ausnahmezustand

Währenddessen verschärft sich die Lage in Gaza. Krankenhäuser gibt es kaum noch, Nahrungsmittel sind Mangelware, Bomben fallen weiterhin. Selbst Kinder, die für Behandlungen ins Ausland gebracht wurden, mussten zurück – bevor sie genesen waren. Die Angst ist ständiger Begleiter, der Tod sitzt in jeder Ecke.

Und mittendrin: Fatimas Familie. Ihre Stimme aus Frankreich wird lauter, verzweifelter – aber sie verhallt scheinbar ungehört.


Zeit für ein bisschen Menschlichkeit

Die Geschichte von Fatima Kollab ist mehr als ein persönliches Drama. Sie zeigt auf, wie gnadenlos eine Verwaltung sein kann, wenn sie nur in Akten denkt. Es geht nicht um Zahlen, Pässe oder Paragrafen – es geht um Menschen. Um Großmütter, Mütter, Kinder.

Muss erst etwas Unwiderrufliches passieren, bevor gehandelt wird?

Frankreich rühmt sich seiner humanitären Traditionen. Doch diese Tradition verlangt auch, dass man nicht wegschaut – vor allem dann nicht, wenn es unbequem wird.

Fatima will nichts Unmögliches. Sie will nur ihre Familie in Sicherheit wissen. Und mit ihr hoffen viele andere.

Von Andreas M. Brucker

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