Der Zyklon Chido, der am Samstag die Insel Mayotte heimsuchte, zählt zu den heftigsten Wirbelstürmen, die das französische Überseegebiet in den letzten 90 Jahren getroffen haben. Massive Schäden, ein stillgelegtes Gesundheitssystem und ein hoher Verlust an Menschenleben verdeutlichen, wie anfällig der Inselstaat gegenüber extremen Wetterereignissen ist – ein Risiko, das durch den Klimawandel künftig weiter zunehmen könnte.
Ein beispielloser Sturm trifft mit voller Wucht
Zwei Tage nach dem Durchzug des Zyklons sind die Verwüstungen in Mayotte unübersehbar. Eingestürzte Häuser, abgedeckte Dächer und zerstörte Straßen prägen das Bild der Insel. Besonders betroffen sind die ärmsten Gebiete, in denen ganze Siedlungen aus Wellblech einfach fortgefegt wurden. Die Windgeschwindigkeiten erreichten in der Spitze über 220 km/h. Laut dem Präfekten François-Xavier Bieuville könnte die Zahl der Todesopfer in die Hunderte oder Tausende gehen – ein Szenario, das die katastrophale Gewalt des Sturms verdeutlicht.
Die Lage ist alarmierend: Es fehlt an Trinkwasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Der Wiederaufbau könnte Jahre dauern, während die Suche nach Überlebenden weiterhin ein Wettlauf gegen die Zeit ist.
Warum war Chido so außergewöhnlich?
Mayotte hatte bisher das Glück, meist von der direkten Schneise tropischer Wirbelstürme verschont zu bleiben. Seine geografische Nähe zu Madagaskar sorgt in der Regel für eine gewisse Schutzbarriere. Doch diesmal war es anders.
„Was den Zyklon Chido so besonders macht, ist nicht nur seine Intensität, sondern vor allem seine bemerkenswerte Flugbahn“, erklärt Patrick Galois, Meteorologe bei Météo-France. Der Sturm zog ungewöhnlich gradlinig nördlich an Madagaskar vorbei und traf Mayotte direkt – eine seltene Konstellation, die das volle Ausmaß der Zerstörung erklärte.
Mayotte selbst ist ein „winziges Fleckchen im Indischen Ozean“, wie Galois betont. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zyklon direkt über die Insel zieht, ist extrem gering. Das letzte vergleichbare Ereignis fand 1934 statt, vor genau 90 Jahren.
Trotzdem sind Stürme dieser Intensität in der Region nicht ungewöhnlich. Durchschnittlich entwickeln sich während der Zyklonsaison – von November bis April – etwa zehn tropische Stürme im südwestlichen Indischen Ozean, von denen fünf die Stärke eines Zyklons erreichen.
Am Samstag wurden auf Mayotte Windgeschwindigkeiten von bis zu 226 km/h gemessen, bevor die Aufzeichnungsgeräte den Orkanböen nicht mehr standhielten. Laut Meteorologen hätte schon eine leicht veränderte Zugbahn – nördlich oder südlich der Insel – die Intensität drastisch reduzieren können.
Begünstigt durch außergewöhnliche Bedingungen
Neben der ungewöhnlichen Flugbahn spielte auch die Umgebung eine zentrale Rolle. „Der Zyklon profitierte von außergewöhnlichen ozeanischen und atmosphärischen Bedingungen“, so Galois.
Ein entscheidender Faktor war die geringe Windschichtung. Wenn die Windgeschwindigkeiten in unterschiedlichen Höhen zu stark variieren, kann ein Sturm destabilisiert und abgeschwächt werden. Bei Chido war das jedoch nicht der Fall.
Ein weiterer Faktor war das ungewöhnlich warme Meerwasser: Temperaturen nahe 30 Grad Celsius und eine hohe Wärmespeicherung in tieferen Wasserschichten boten dem Sturm reichlich Energie. Solche Bedingungen fördern die Bildung intensiver tropischer Wirbelstürme, die sich durch Verdunstung von Meerwasser entwickeln.
Der Klimawandel als mögliche Ursache?
Bei extremen Wetterphänomenen wie Chido stellt sich oft die Frage nach dem Einfluss des Klimawandels. Tatsächlich wissen Wissenschaftler, dass der Klimawandel die Intensität tropischer Wirbelstürme verstärken kann.
Laut dem Weltklimarat (IPCC) nimmt die Wahrscheinlichkeit intensiver Zyklone bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad um 10 % zu. Bei einem Temperaturanstieg von 4 Grad könnten es sogar 20 % mehr sein. Der Grund: Ein wärmerer Ozean setzt mehr Wasserdampf frei, der als Energiequelle für Stürme dient.
Für den Zyklon Chido ist es jedoch noch zu früh, einen direkten Zusammenhang zum Klimawandel zu ziehen. Laut der europäischen Forschungsgruppe ClimaMeter, die Extremwetterereignisse untersucht, zeigen aktuelle Daten bislang keine klare Veränderung in der Häufigkeit oder Stärke von Zyklonen in dieser Region.
Mayottes große Verwundbarkeit
Unabhängig von der Ursache offenbart die Katastrophe, wie unzureichend Mayotte auf solche Extremereignisse vorbereitet ist. Die Geografin Magali Reghezza betont: „Inseln sind naturgemäß besonders verwundbar gegenüber Wirbelstürmen. Die Frage war nicht, ob Mayotte getroffen wird, sondern wann.“
Technische Lösungen, um Schäden zu minimieren, existieren längst. „Es gibt Möglichkeiten, Gebäude stabiler zu bauen – Dächer zu verankern, Luftzirkulation zu ermöglichen und Strukturen zu sichern, die nicht lebensgefährlich werden“, erklärt sie. In wohlhabenderen Regionen hätten solche Maßnahmen wahrscheinlich das Ausmaß der Verwüstung deutlich verringert.
Ein Weckruf für die Zukunft
Der Zyklon Chido ist nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern auch ein Weckruf. Die Notwendigkeit, Mayotte an die wachsenden Risiken des Klimawandels anzupassen, kann nicht länger ignoriert werden. Der Wiederaufbau bietet die Chance, widerstandsfähigere Infrastrukturen zu schaffen und präventive Maßnahmen zu ergreifen, um künftige Katastrophen zu mildern.
Mayotte hat ein schweres Erbe zu bewältigen. Doch die Katastrophe könnte der Startpunkt für dringend benötigte Veränderungen sein – denn eines ist sicher: Chido wird nicht der letzte Zyklon gewesen sein, der die Insel trifft.
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