Was kostet ein T-Shirt aus China? Manchmal weniger als ein belegtes Baguette. Doch damit könnte in Frankreich bald Schluss sein – zumindest, was die Zusatzkosten betrifft. Die Assemblée nationale, Frankreichs parlamentarisches Unterhaus, hat eine Maßnahme in Angriff genommen, die das Shoppingverhalten vieler Französinnen und Franzosen verändern dürfte: eine neue Abgabe auf sogenannte „kleine Pakete“ aus Nicht-EU-Ländern.
Das Ziel: Die Flut von Billigwaren eindämmen, lokale Händler schützen und ein Signal gegen umweltschädliche Wegwerfware setzen.
Was steckt hinter der „Mini-Paket“-Steuer?
Im Zentrum der Diskussion steht ein Segment des Onlinehandels, das bislang steuerlich kaum berührt wurde: Produkte unter 150 Euro, direkt aus Ländern wie China importiert, meist über Plattformen wie Shein, Temu oder AliExpress. Der Trick: Diese Sendungen entgehen häufig der Zollabfertigung und landen nahezu unkontrolliert in französischen Briefkästen.
Damit soll nun Schluss sein – oder zumindest ein Anfang gemacht werden.
Geplant ist zunächst eine Abgabe von 2 Euro pro Paket, die ab 2026 gelten könnte. Doch damit geben sich einige Abgeordnete nicht zufrieden: Ein Zusatzantrag fordert stattdessen gleich 10 Euro pro Sendung – ein ordentlicher Aufpreis bei Bestellungen, deren Warenwert oft selbst nur einstellige Beträge beträgt.
Die Debatte ist eröffnet. Und Frankreich steht bei dieser Entscheidung nicht allein: Auch auf EU-Ebene wird eine Harmonisierung der Besteuerung solcher Importe diskutiert – erste Beschlüsse wurden bereits gefasst.
Warum überhaupt eine neue Steuer?
Die Gründe liegen – wie so oft – im Zusammenspiel von Wirtschaft, Umwelt und sozialer Fairness.
Erstens: Der Onlinehandel mit Billigwaren aus Asien ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Laut Schätzungen wurden allein 2023 rund 2,3 Milliarden Artikel unter 150 Euro in die EU importiert. Ein beachtlicher Teil davon landet auch in Frankreich. Dabei handelt es sich oft um Mode aus der Ultra-Fast-Fashion-Schiene, Zubehör oder technische Gadgets – günstig, schnell geliefert, aber oft von fragwürdiger Qualität und Herkunft.
Zweitens: Die derzeitige Steuerpraxis sorgt für ein erhebliches Ungleichgewicht. Während europäische Händler Mehrwertsteuer abführen und unter strengen Auflagen produzieren, gelangen viele Importprodukte nahezu steuerfrei ins Land. Das Ergebnis: Preisverzerrung und ein massiver Wettbewerbsnachteil für den stationären und regionalen Handel.
Drittens: Die soziale und ökologische Dimension. Billig heißt nicht nur günstig für Konsumenten, sondern häufig auch teuer für Mensch und Umwelt: schlechte Arbeitsbedingungen, hohe Emissionen durch Einzelversand per Luftfracht, Müllberge durch kurzlebige Produkte.
Kurzum: Die neue Abgabe will einen Preis sichtbar machen, der bislang unsichtbar blieb.
Zwischen Symbolpolitik und realer Wirkung
Doch kann eine solche Steuer tatsächlich etwas bewirken – oder bleibt sie bloße Geste?
Genau hier setzt die Kritik vieler Expert:innen an. Derzeit werden in Frankreich laut einem Bericht lediglich 0,125 Prozent aller Kleinsendungen tatsächlich kontrolliert. Wenn der Zoll gar nicht weiß, was in den Paketen steckt, wie soll dann eine Steuer flächendeckend greifen?
Noch dazu droht eine Umgehung durch technische Kniffe: Große Plattformen könnten ihre Logistik umstellen und Waren über Zwischenlager in EU-Ländern verschicken – und wären damit aus dem Schneider. Ein echtes Nadelöhr für die Steuerbehörden und ein Risiko für die Glaubwürdigkeit der Maßnahme.
Dazu kommt: Wenn Frankreich im Alleingang vorprescht, während andere EU-Länder noch zögern, entsteht ein Flickenteppich an Regeln – und das in einem gemeinsamen Binnenmarkt.
Wer zahlt am Ende?
Die Maßnahme trifft einen empfindlichen Punkt – vor allem für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Viele Kund:innen dieser Plattformen stammen aus Haushalten, die auf günstige Angebote angewiesen sind. Eine zusätzliche Steuer auf jede Bestellung könnte ihre Budgets spürbar belasten. Kritische Stimmen aus dem linken Lager sprechen deshalb von einer „Strafsteuer auf Armut“.
Gleichzeitig stellt sich eine unbequeme Frage: Wer trägt eigentlich die Verantwortung für den Boom dieser Plattformen? Sind es wirklich nur die Händler – oder auch ein Konsumverhalten, das durch permanente Schnäppchenjagd immer neue Rekorde bricht?
Die Politik wagt hier einen Spagat: Sie will regulieren, ohne zu verbieten. Steuern, ohne zu bestrafen. Und vor allem: Bewusstsein schaffen, ohne den Zeigefinger zu heben.
Was bedeutet das konkret?
Für Verbraucherinnen und Verbraucher in Frankreich könnte das künftig heißen: Wer bei Shein & Co. bestellt, zahlt drauf. Zwei Euro extra pro Paket – vielleicht sogar zehn. Das macht aus einem 5-Euro-Shirt schnell eine 15-Euro-Angelegenheit.
Für die Plattformen wiederum dürfte sich das Geschäftsmodell verteuern. Möglich, dass sie Alternativen suchen: europäische Lager, gebündelte Lieferungen, höhere Produktpreise. Alles Optionen – mit Nebenwirkungen.
Und für den französischen Staat? Ein doppelter Gewinn: mehr Einnahmen und ein Statement für faireren Handel. Ob sich das geplante Steueraufkommen von bis zu 500 Millionen Euro jährlich tatsächlich realisieren lässt, hängt aber von der Durchsetzung ab – und davon, ob Europa an einem Strang zieht.
Ein Weckruf – mehr nicht?
Der Vorstoß der Nationalversammlung ist mehr als nur eine Fußnote im Steuerrecht. Er ist ein Signal. Ein kleiner Ruck gegen einen gigantischen Trend.
Aber er wirft auch Fragen auf: Reicht diese Maßnahme aus? Oder braucht es mehr – etwa umfassendere Zollkontrollen, strengere Transparenzpflichten oder bessere Aufklärung für Verbraucher?
Vielleicht ist es auch einfach an der Zeit, sich zu fragen: Muss wirklich jedes T-Shirt aus der anderen Ecke der Welt kommen?
Eines ist klar: Diese kleine Steuer hat das Potenzial, eine große Debatte auszulösen – über Konsum, Gerechtigkeit und den Preis, den wir alle zahlen.
Autor: Andreas M. Brucker
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