Tag & Nacht


Es gibt Jahre, die sich in das kollektive Gedächtnis einbrennen. 2025 gehört zu ihnen. Nicht durch ein einzelnes Ereignis, sondern durch eine stille, aber unnachgiebige Konstante: die Hitze. Während sich weite Teile Europas noch fragen, ob der vergangene Sommer wirklich so extrem war, legen die neuen Daten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus ein Zahlenwerk vor, das keinen Raum lässt für nostalgische Verklärung. 2025 entwickelt sich – aller Voraussicht nach – zum zweit- oder drittwärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Gleichauf mit 2023, nur knapp hinter dem Rekordjahr 2024.

Ein Satz, der nüchtern klingt und doch alles verändert.

Schon der Monat November liefert eine Ahnung davon, wohin die Reise geht. Copernicus meldet den drittwärmsten November weltweit. Kein Ausreißer, kein meteorologischer Zufall, sondern ein weiteres Glied in einer langen Kette von Monaten, die schleichend, aber stetig die Temperaturleitplanken verschieben. Wer kurz innehält, spürt, wie sich diese Zahlen in eine schwerwiegende Realität übersetzen – in trockene Böden, in ausgedörrte Wälder, in jene unzähligen kleinen und großen Brände, die Europa in diesem Sommer an den Rand seiner Belastbarkeit gebracht haben.

Ein Bild aus Garano in Spanien bringt das schmerzhaft auf den Punkt: Einsatzkräfte der Unidad Militar de Emergencia inmitten eines Feuers, das sich anfühlt wie ein düsterer Vorbote. Die Szene wirkt, als stamme sie aus einem dystopischen Roman, ist aber schlicht das Spiegelbild eines Sommers 2025, der sich nicht mehr an frühere Jahreszeitenlogiken hält.

Copernicus beziffert die durchschnittliche globale Temperaturanomalie zwischen Januar und November auf plus 0,60 Grad im Vergleich zur Periode 1991 bis 2020 – oder 1,48 Grad über dem vorindustriellen Referenzwert. Eine Zahl, die auf dem Papier wie eine minimale Verschiebung erscheint, dabei aber wie ein leuchtend roter Strich im Klimakalender wirkt. Sie markiert den Abstand zu einer Welt, die noch nicht dauerhaft durch menschliche Emissionen erhitzt war. Eine Welt, die aus heutiger Sicht beinahe märchenhaft stabil wirkt.

2025 liegt damit exakt auf dem Niveau von 2023. Die endgültigen Daten für Dezember stehen zwar noch aus, doch selbst konservative Szenarien ändern wenig an der Ausgangslage: 2025 wird in die Top drei der heißesten Jahre vorrücken. Und es rückt damit gefährlich nah an jene symbolische 1,5-Grad-Marke, die seit dem Pariser Klimaabkommen wie eine letzte Haltelinie wirkt. Eine Linie, die nie als komfortabel galt – eher als schmaler Grat, auf dem die Staatengemeinschaft balanciert, in der Hoffnung, nicht abzustürzen.

Doch genau dieser Grat beginnt zu bröckeln.

Denn Copernicus berechnet auch die Durchschnittstemperatur der gesamten Dreijahresperiode von 2023 bis 2025. Und die dürfte erstmals dauerhaft über 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Nicht für einen Monat, nicht für ein einzelnes Jahr – sondern für drei aufeinanderfolgende Jahre. Ein Zeitraum, der zeigt, dass die Erderwärmung längst nicht mehr nur in Extremen messbar ist, sondern in der schieren Normalität.

Vor zehn Jahren versprach das Pariser Abkommen, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad zu halten, möglichst nahe an den 1,5 Grad. Ein Versprechen, das damals wie ein Kompass wirkte. Heute erinnert es eher an eine jener alten Seekarten, deren Küstenlinien sich im Nebel auflösen. António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, spricht offen aus, was viele Fachleute seit Jahren andeuten: Die Überschreitung der 1,5-Grad-Marke ist unvermeidlich – zumindest vorübergehend. Was nach Resignation klingt, ist vielmehr ein Weckruf.

Denn Guterres mahnt ausdrücklich, dieser Überschuss müsse vorübergehend bleiben. Der Anstieg müsse wieder zurückgedrängt werden. Die Wissenschaftlerin Samantha Burgess von Copernicus formuliert es aus technokratischer Perspektive, die jedoch kaum weniger dringlich wirkt: Nur eine rasche Reduktion der Treibhausgasemissionen bringe die globale Temperaturkurve wieder auf einen Pfad, der das Klima langfristig stabilisieren könne. Anders gesagt: Ohne ein abruptes Bremsmanöver des menschengemachten Ausstoßes wandert die Welt geradewegs in eine Zukunft, in der Extreme zur Norm werden.

Dahinter steht nicht nur eine abstrakte Klimapolitik, sondern die Erfahrung eines Jahres, das wie ein Brennglas wirkt. Menschen in Südeuropa, die mitten im August dachten: Das kann doch nicht normal sein. Landwirte, die in den Böden ihrer Felder die Härte eines klimatisch veränderten Jahrzehnts spürten. Städter, die in aufgeheizten Nächten nach Schlaf suchten. Und Einsatzkräfte, die wie in Garano in eine Hitze hineinfuhren, die sich anfühlte wie ein offenes Tor zur Hölle der Zukunft.

Der Sommer 2025 zeigt, wie sehr diese Zukunft bereits Gegenwart ist.

Dennoch erzählt diese Entwicklung nicht nur von Gefahren, sondern auch von Entscheidungen. Denn die Menschheit ist – trotz aller dramatischen Kurven – nicht Zuschauerin eines unausweichlichen Dramas. Sie ist Akteurin. Und jede politische Weichenstellung, jede wirtschaftliche Entscheidung, jede technologische Innovation wird Teil der Erzählung, die das Klima der kommenden Jahrzehnte prägen wird.

Es sind diese Wendepunkte, an denen sich entscheidet, ob 2025 rückblickend als mahnender Vorbote gesehen wird – oder als Beginn einer Abwärtsspirale.

Vielleicht liegt gerade darin die eigentliche Wucht dieser neuen Copernicus-Daten: Sie konfrontieren uns nicht nur mit den Temperaturen der Gegenwart, sondern mit der Frage, wie viel Zukunft noch gestaltbar ist. Wer sich mit dem Klimawandel befasst, merkt schnell, dass hier keine abstrakte Statistik spricht, sondern eine Welt, die im Umbruch ist. Eine Welt, die uns zwingt, alte Gewissheiten abzulegen und neue Antworten zu finden.

Und genau hier beginnt die Aufgabe der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft. Sie ist unbequem, komplex, manchmal schwer zu ertragen – aber sie ist lösbar. Die Geschwindigkeit der Klimaveränderungen zeigt, wie eng alle Herausforderungen zusammenhängen. Und sie zeigt, warum jede Maßnahme zählt, selbst jene, die auf den ersten Blick winzig erscheinen.

2025 wird als eines der heißesten Jahre in die Statistik eingehen.

Doch es könnte auch als das Jahr gelten, in dem die Welt beschloss, das Ruder herumzureißen.

Autor: Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!