Manche Daten in der Geschichte wirken auf den ersten Blick unauffällig. Der 5. Juni gehört sicher nicht dazu. Dieser Tag hat es – historisch gesehen – ganz schön in sich. In Frankreich brodelte es, in Berlin wurde neu verteilt, im Nahen Osten geschossen und weltweit gehofft. Man könnte fast sagen: Der 5. Juni ist eine Art Mikrokosmos der Weltgeschichte – nur komprimiert auf 24 Stunden.
Paris 1832: Ein Toter bringt die Republik zum Beben
Der 5. Juni 1832 beginnt mit einem Begräbnis – doch er endet im Kugelhagel. Als General Jean Maximilien Lamarque stirbt, explodiert ein Pulverfass, das sich seit Monaten mit Wut und Verzweiflung gefüllt hatte. Hunger, Krankheit und politische Enttäuschung haben Paris in einen brodelnden Kessel verwandelt. Lamarques Tod gibt dem Unmut eine Richtung. Studenten, Arbeiter und Republikaner errichten Barrikaden. Sie rufen nach Gerechtigkeit, nach Mitbestimmung, nach einem Ende der Monarchie.
Klingt dramatisch? War es auch. Innerhalb weniger Stunden verwandelt sich das Zentrum von Paris in ein Schlachtfeld. Der Aufstand wird brutal niedergeschlagen – aber vergessen wird er nicht. Wer die Bilder kennt, die Victor Hugo in „Les Misérables“ malt, bekommt eine Ahnung davon, was dieser 5. Juni bedeutet hat. Der Geist der Revolution hat zwar verloren – aber nicht aufgegeben.
1940: Frankreich steht vor dem Abgrund
Springen wir 108 Jahre weiter: Frankreich steht erneut im Zentrum des Geschehens. Am 5. Juni 1940 beginnt die zweite Phase der deutschen Offensive gegen das Land – der sogenannte „Fall Rot“. Während sich viele Franzosen noch vom ersten Schock der Blitzkrieg-Taktik in Belgien und den Niederlanden zu erholen versuchen, rollen die Panzer Richtung Paris.
Die Verteidigung ist lückenhaft, die Moral angeschlagen, und die politische Führung ist gelähmt. Innerhalb weniger Tage sind die Frontlinien durchbrochen. Die deutsche Wehrmacht marschiert durch Nordfrankreich, als hätte man ihr die Tür geöffnet. Am Ende dieses Feldzugs steht das Vichy-Regime – eine Marionettenregierung, die Frankreich tief spalten wird.
1944: Die Welt hält den Atem an
Nur vier Jahre später herrscht erneut Anspannung – diesmal auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Am 5. Juni 1944 wartet Südengland auf ein Zeichen. Zehntausende Soldaten sitzen auf gepackten Kisten, Flugzeuge stehen bereit, Schiffe liegen in Formation. Die Befehle sind klar: Morgen, am 6. Juni, beginnt der D-Day – die Invasion in der Normandie.
Doch der eigentliche Startschuss fällt am Vorabend. Am 5. Juni gibt General Eisenhower endgültig grünes Licht. Die Wetterverhältnisse lassen keinen weiteren Aufschub zu. In dieser Nacht fliegen die ersten Maschinen über den Ärmelkanal. Fallschirmjäger springen ins Dunkel, hinter feindlichen Linien. Der Tag, der folgen wird, verändert den Krieg – aber der 5. Juni war der Moment, in dem die Würfel fielen.
1945: Berlin wird aufgeteilt
Der Zweite Weltkrieg ist vorbei – doch der Frieden zeigt sofort seine Spannungen. Am 5. Juni 1945 unterzeichnen die vier alliierten Siegermächte die sogenannte Berliner Erklärung. Sie übernehmen offiziell die Regierungsgewalt über Deutschland und teilen das Land – samt Hauptstadt – in Besatzungszonen auf.
Ein Papier, nüchtern formuliert, das dennoch Geschichte schreibt. Die Linie, die Deutschland teilt, wird bald auch die Welt in zwei Lager spalten. Der Kalte Krieg beginnt nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit Stempeln, Unterschriften – und einem schleichenden Misstrauen.
1967: Der Nahe Osten brennt
Am frühen Morgen des 5. Juni 1967 startet Israel eine großangelegte Offensive gegen Ägypten, Syrien und Jordanien. Der Sechstagekrieg beginnt. Es ist ein Konflikt, der binnen weniger Tage riesige territoriale Veränderungen mit sich bringt – und dessen Nachwirkungen bis heute jede Friedensverhandlung belasten.
Israel erobert in nur sechs Tagen das Westjordanland, den Gazastreifen, Ostjerusalem, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel. Eine militärische Machtdemonstration – und ein politisches Minenfeld, das bis heute nicht entschärft wurde.
1972: Die Erde spricht mit leiser Stimme
In Stockholm wird am 5. Juni 1972 ein neues Kapitel geschrieben. Die Vereinten Nationen rufen zum ersten Weltumwelttag auf. Damals – ehrlich gesagt – schenkt dem kaum jemand große Aufmerksamkeit. Umwelt? Klingt nach Nischenthema.
Doch dieser Tag wird zum Startpunkt einer globalen Bewegung, die später das Bewusstsein für Klimawandel, Artensterben und Ressourcenverbrauch prägen wird. Man könnte sagen: Am 5. Juni wurde die Erde endlich mal gehört.
1989: Ein Mann stellt sich einem Panzer
Wer kennt nicht das Bild? Ein einzelner Mann steht auf einer breiten Straße in Peking. Vor ihm: eine Kolonne chinesischer Panzer. Der „Tank Man“ wird am 5. Juni 1989 zum Gesicht des Widerstands auf dem Tian’anmen-Platz.
Die Proteste in China waren Tage zuvor blutig niedergeschlagen worden. Doch dieses Bild – unscharf, körnig, aber voller Kraft – geht um die Welt. Wer war dieser Mann? Niemand weiß es genau. Aber er steht sinnbildlich für den Moment, in dem der Mut eines Einzelnen die Gewalt einer Staatsmacht herausfordert. Was für ein Vermächtnis.
Und heute?
Was lernen wir aus all diesen Episoden? Vielleicht, dass Geschichte kein starres Konstrukt ist – sondern eine Aneinanderreihung von Entscheidungen, Zufällen, Mut und Tragödien. Der 5. Juni zeigt eindrucksvoll, wie sich an einem einzigen Tag der Lauf der Dinge drehen kann.
Und wer weiß – was passiert wohl heute?
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