Tag & Nacht


Wenn man an französischen Wein denkt, kommen einem wahrscheinlich sofort Regionen wie Bordeaux, Burgund oder das Loiretal in den Sinn. Aber jetzt? Jetzt sprechen wir über Wein aus den Hauts-de-France, einer Region, die bis vor kurzem vor allem für Kartoffeln, Rüben und Getreide bekannt war. Doch die Zeichen des Klimawandels sind auch hier unverkennbar – und die Weinreben folgen der Wärme.

Laurent Sellié ist einer dieser neuen Winzer im Norden Frankreichs. Seit 30 Jahren bewirtschaftet er seine Felder, und bis vor kurzem hätte er nie gedacht, dass Weinreben jemals im Department Pas-de-Calais gedeihen könnten. Doch heute, umgeben von Kartoffel- und Rübenfeldern, pflegt er seine Chardonnay-Reben und bereitet die Ernte vor. „Die Trauben sind dieses Jahr klein“, sagt er und zeigt auf die Rebstöcke, „der Juni war einfach zu verregnet, und wir hatten zu wenig Sonne.“ Doch die Süße der Trauben ist dennoch vielversprechend.

Was hat diesen Wandel ausgelöst? Der Klimawandel – mit all seinen unvorhersehbaren Wetterkapriolen. Sellié erzählt von den letzten acht Jahren, in denen traditionelle Feldfrüchte wie Weizen und Rüben immer stärker unter der Trockenheit litten. „Der Kreideboden hier wird schneller trocken als Lehmboden“, erklärt er. Also wagte er den Schritt in die Weinproduktion. Was nach einem radikalen Schritt klingt, ist in Wahrheit eine pragmatische Antwort auf die klimatischen Herausforderungen. Der Boden, der für andere Kulturen zu trocken wurde, ist ideal für den Chardonnay. Wie heißt es so schön: Man muss mit dem Strom schwimmen – oder in diesem Fall, mit dem Klima.

Ein Beispiel für Anpassung und Wandel

Dass sich der Klimawandel in die landwirtschaftliche Landschaft Frankreichs einschreibt, sieht man inzwischen nicht nur in den Regionen, die schon lange für ihren Wein berühmt sind. In den Hauts-de-France wächst das Interesse an der Weinproduktion rapide. Die Region, die bisher eher für Zuckerrüben bekannt ist, hat sich nun zu einer aufstrebenden Weinbauregion gewandelt. Wie kam es dazu?

Julien Poulin, der Entwicklungsleiter der „Coopérative des 130“, erklärt: „Mit dem Klimawandel haben sich die Bedingungen hier verbessert. Es gibt sogar Weinbau weiter nördlich – in England, Belgien, ja sogar in den nordischen Ländern.“ Diese nördlichen Regionen haben durch den Temperaturanstieg plötzlich ein Klima, das für Weinbau geeignet ist.

Was bedeutet das für die berühmten Weinanbaugebiete im Süden? Sie stehen vor einem anderen Problem. In de Region Bordeaux reißen Winzer Rebstöcke aus, da die Nachfrage nach kräftigem Rotwein zurückgeht und das heiße Klima die Weinqualität negativ beeinflusst. Im Gegensatz dazu macht sich der Norden den Trend zu leichteren, frischen Weinen zunutze. Die Weine aus den Hauts-de-France sind eher „leicht“, „frisch“ und trotzdem „feierlich“ – perfekt für den aktuellen Markt. Während der Konsum von Rotwein in Frankreich drastisch gesunken ist, bleibt die Nachfrage nach Weißwein stabil.

Die wirtschaftliche Seite der Weinwende

Für Sellié ist die Entscheidung, Wein anzubauen, nicht nur eine klimatische, sondern auch eine ökonomische. Die Preise für traditionelle Feldfrüchte schwanken stark, und für einen Landwirt, der ausschließlich auf eine Ernte setzt, kann das riskant sein. „Eine Jahr ist der Weizenpreis bei 200 Euro, im nächsten bei 300. Man kann nicht alles auf eine Karte setzen“, erklärt er.

Wein bringt Diversifizierung – und mit etwas Glück auch Stabilität. Doch der Umstieg ist teuer. Sellié hat 200.000 Euro investiert, um seine vier Hektar Weinreben anzulegen. Rentabel ist das noch lange nicht, aber er hofft, dass sich diese Entscheidung langfristig auszahlt.

Die „Coopérative des 130“, die Weinbauern wie Sellié unterstützt, hilft dabei, diesen Übergang zu erleichtern. Sie hat inzwischen 52 Winzer in der Region zusammengebracht, die gemeinsam ihre Trauben verarbeiten und vermarkten. Ziel ist es, auf 200 Hektar anzuwachsen und 130 Weinbauern zu vereinen. Eine alte Zuckerfabrik in Dompierre-Bequincourt wurde in ein Weinzentrum umgewandelt – ein Symbol für die Transformation, die in dieser Region gerade stattfindet.

Der Klimawandel: Eine zweischneidige Klinge

Der Klimawandel bringt nicht nur Herausforderungen, sondern auch neue Chancen. Die steigenden Temperaturen ermöglichen es, Weinreben in Regionen zu pflanzen, die bisher als zu kalt galten. England hat in den letzten Jahren zunehmend internationale Anerkennung für seine Schaumweine erhalten, und auch Belgien zieht nach. Nun also auch der Norden Frankreichs.

Aber während die Winzer im Norden ihre neuen Chancen feiern, kämpfen andere Regionen ums Überleben. In Südeuropa sind die Auswirkungen des Klimawandels weitaus destruktiver. Häufigere Hitzewellen und Dürren setzen den Reben zu, und selbst traditionsreiche Weingebiete müssen sich anpassen. Was wird aus den klassischen Weinregionen werden, wenn die Temperaturen weiter steigen? Muss Bordeaux bald seine berühmten Rotweine aufgeben und auf andere Rebsorten – ode gar auf andere Kulturen – umstellen?

Eine Wende im Weingeschmack

Interessanterweise kommt dieser klimatische Wandel zu einer Zeit, in der sich auch der Geschmack der Konsumenten verändert. Die Franzosen trinken heute 70% weniger Wein als noch in den 1960er Jahren. Damals konsumierten sie jährlich etwa 120 Liter pro Person, heute sind es nur noch 40 Liter. Besonders der Rotwein hat stark an Beliebtheit eingebüßt – nicht zuletzt wegen der höheren Alkoholgehalte, die viele Weine des Südens inzwischen aufweisen.

Die Weine aus dem Norden sind anders. Leicht, frisch, mit geringerem Alkoholgehalt – genau das, wonach viele heutzutage suchen. Julien Poulin beschreibt die Weine der „Coopérative des 130“ als „festliche, einfache Weine“, die nicht für die Elite der Weinkenner gedacht sind, sondern für Menschen, die ein leichtes Glas Wein an einem geselligen Abend genießen wollen.

Die Zukunft des Weins im Wandel

Es ist faszinierend zu sehen, wie der Klimawandel etwas so Traditionelles wie den Weinbau auf den Kopf stellt. In den Hauts-de-France wird jetzt Wein produziert, während südliche Regionen wie Bordeaux mit Überproduktion und Hitze zu kämpfen haben. Es zeigt einmal mehr, dass der Klimawandel nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche und kulturelle Herausforderung ist.

Aber am Ende ist es auch eine Chance. Die Winzer des Nordens sind das beste Beispiel dafür, wie Anpassung an die neuen Bedingungen zu Innovationen führen kann. Weinliebhaber sollten sich also darauf einstellen, dass in den kommenden Jahren der Ausdruck „französischer Wein“ eine ganz neue geografische Bedeutung bekommen könnte. Wer hätte gedacht, dass der Norden Frankreichs eines Tages für seine Weine bekannt sein könnte?

Die Geschichte des Weins – einst geprägt von Regionen wie Bordeaux und Burgund – wird nun neu geschrieben. Vielleicht steht ja in Zukunft „Hauts-de-France“ auf den Weinkarten der besten Restaurants der Welt?

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