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Die britische Regierung will den Staat Palästina offiziell anerkennen – jedoch nur unter bestimmten Bedingungen. Damit verschärft Premierminister Keir Starmer den außenpolitischen Druck auf Israel erheblich.

Am Dienstag kündigte Downing Street überraschend an, dass das Vereinigte Königreich im September 2025 Palästina als souveränen Staat anerkennen werde – es sei denn, die israelische Regierung vollziehe binnen Wochenfrist substanzielle Schritte in Richtung eines dauerhaften Waffenstillstands und einer Zwei-Staaten-Lösung. Zu den geforderten Maßnahmen zählen insbesondere ein sofortiger Waffenstillstand im Gazastreifen, der Verzicht auf die Annexion der Westbank sowie die Beteiligung an einem internationalen Friedensprozess.

Der außenpolitische Kurswechsel Großbritanniens ist nicht nur eine Reaktion auf die sich dramatisch verschärfende humanitäre Lage in Gaza, sondern markiert auch eine politische Zäsur: Erstmals stellt ein G7-Staat – nach Frankreich – die Anerkennung Palästinas in ein konkretes zeitliches und diplomatisches Verhältnis zur Politik Israels.

Der strategische Wandel in der britischen Nahostpolitik

Noch im Wahlkampf hatte Keir Starmer eine moderatere Linie vertreten: Die Anerkennung Palästinas sei ein legitimes Ziel, aber „nur im richtigen Moment“. Dieser Moment scheint nun gekommen. Die Entscheidung fiel am Dienstag in einer kurzfristig einberufenen Kabinettssitzung, bei der sich die Regierung laut britischen Medienberichten auf eine sogenannte „konditionale Anerkennung“ Palästinas einigte.

Die Bedingungen, unter denen Großbritannien von diesem Schritt absehen würde, setzen Israel unter erheblichen internationalen Druck. Premierminister Starmer stellte klar: „Wir sind entschlossen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen – mit Diplomatie, nicht mit Blankoschecks.“

Dieser Vorstoß ist auch als Reaktion auf das wachsende innenpolitische Unbehagen zu verstehen. In Großbritannien mehren sich die kritischen Stimmen gegenüber der israelischen Kriegsführung. Zugleich wächst die Unzufriedenheit mit der bisherigen internationalen Untätigkeit.

Humanitäre Krise als Auslöser

Seit Monaten herrscht im Gazastreifen eine akute humanitäre Katastrophe. Die Lage eskalierte erneut, als bei einem israelischen Luftangriff auf das Flüchtlingslager von Nousseirat 30 Menschen getötet wurden, darunter 14 Frauen und 12 Kinder. Trotz vereinzelter Lieferungen durch über 200 Hilfskonvois reichen die Hilfsmengen bei Weitem nicht aus. Laut den Vereinten Nationen müssten täglich 500 bis 600 Lkw mit Lebensmitteln, Medikamenten und Wasser Gaza erreichen, um die Grundversorgung sicherzustellen.

Ein Bericht des IPC, eines von der UNO unterstützten Analyseorgans für Ernährungssicherheit, spricht von einem „tödlichen Wendepunkt“ in der Krise: Zwischen April und Juli wurden mehr als 20.000 Kinder wegen akuter Mangelernährung behandelt. Mindestens 16 Kinder unter fünf Jahren sind seit dem 17. Juli verhungert, so lokale Krankenhausberichte.

Vor diesem Hintergrund kündigte Frankreich an, in den kommenden Tagen humanitäre Hilfsgüter per Flugzeug über dem Gazastreifen abzuwerfen. Zwar betonen französische Diplomaten, man werde „größte Vorsicht walten lassen“, doch Ärzte ohne Grenzen kritisierte die Maßnahme als ineffektiv und „symbolisch“.

Internationale Dynamik – und diplomatische Risiken

Die Anerkennung Palästinas gewinnt derzeit in Europa an politischem Momentum. Frankreich hatte bereits im Frühjahr angekündigt, Palästina anerkennen zu wollen, wenn sich die humanitäre Lage weiter verschlechtere. Spanien, Irland und Norwegen vollzogen diesen Schritt im Mai 2024. Großbritanniens nun angekündigter Zeitplan setzt jedoch erstmals klare Bedingungen – eine neue Qualität in der westlichen Israel-Politik.

Gleichzeitig bleibt Israel bei internationalen Foren zunehmend isoliert. Die aktuelle UNO-Konferenz zur Palästinafrage in New York wird von Jerusalem und Washington boykottiert. Israels Botschafter in Frankreich, Joshua Zarka, bezeichnete sie als „Mascarade“. Hinter den Kulissen bemühen sich Berlin, Paris und London jedoch um eine koordinierte diplomatische Offensive: Eine gemeinsame Reise der drei Außenminister nach Israel ist für die kommende Woche angesetzt.

Kein Kurswechsel in Washington – aber wachsender europäischer Einfluss

Die US-Regierung hält bislang an ihrer Linie fest, eine Anerkennung Palästinas nur im Rahmen eines ausgehandelten Friedensabkommens zuzulassen. Doch der Druck aus Europa wächst. In Brüssel und London ist man sich zunehmend einig, dass eine bloße Beobachterrolle in der Eskalation von Gewalt und humanitärem Leid keine Option mehr ist.

Die britische Positionierung zeigt: Der politische Spielraum Israels schrumpft. Eine pauschale Rückendeckung des Westens, wie sie noch vor Jahren selbstverständlich schien, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Vielmehr tritt Europa – wenn auch verspätet – als aktiver Akteur in der Nahostdiplomatie auf.

Autor: Andreas M. Brucker

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