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Mit einem demonstrativen Bekenntnis zur Eigenverantwortung hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eine heikle Eskalation im Nahen Osten bestätigt: Die gezielten Angriffe auf Hamas-Funktionäre in der katarischen Hauptstadt Doha seien eine „vollständig unabhängige Operation Israels“ gewesen. Diese ungewöhnlich offene Mitteilung kommt in einer Phase zunehmender regionaler Spannungen – und hat das diplomatische Verhältnis zwischen Israel und dem Golfstaat Katar erheblich belastet.

Die Luftschläge in Doha, die mehrere Explosionen in Wohngebieten auslösten, trafen nach israelischen Angaben „hochrangige Hamas-Verantwortliche“, die seit Monaten an indirekten Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen beteiligt waren. Katar verurteilte die Angriffe scharf als „feige Tat“ und warf Israel vor, zivile Wohnkomplexe ins Visier genommen zu haben.

Angriff nach Attentat – Netanjahus Signal der Härte

Auslöser der Operation war ein tödlicher Anschlag in Ostjerusalem am Vortag, bei dem sechs israelische Zivilisten ums Leben kamen. Eine Gruppe der Terrormiliz Hamas, die „Brigaden al-Qassam“, reklamierte die Verantwortung für das Attentat nahe der Siedlung Ramot in Jerusalem. Netanjahu, der unter massivem innenpolitischem Druck steht, stellte umgehend einen Zusammenhang her: Die Operation in Katar sei eine direkte Reaktion auf die Attacke gewesen.

„Israel hat sie initiiert, Israel hat sie durchgeführt und Israel übernimmt die volle Verantwortung“, erklärte der Premier in einer Mitteilung seines Büros. Diese demonstrative Verantwortungsübernahme ist bemerkenswert – denn sie bricht mit einer jahrzehntelangen Praxis: Operationen auf fremdem Staatsgebiet wurden in der Vergangenheit fast immer dementiert oder nicht kommentiert.

Katar als diplomatischer Spielball

Katar hat in diesem geopolitischen Schachspiel in eine paradoxen Doppelrolle inne: Einerseits ist das Emirat enger Partner des Westens – es beherbergt den größten US-Militärstützpunkt im Nahen Osten und tritt oft als Vermittler in internationalen Konflikten auf. Andererseits gewährt es seit Jahren führenden Hamas-Kadern Zuflucht und finanziert große Teile der humanitären Infrastruktur der Hamas in Gaza.

Gerade die Rolle Katars als vermeintlich neutraler Akteur wird durch die aktuellen Ereignisse infrage gestellt. Zwar betont Doha stets, man unterhalte Kontakte zur Hamas lediglich aus Vermittlungsgründen. Doch Israels Angriff zielt wohl auch darauf ab, Katar in seiner doppelten Rolle öffentlich bloßzustellen – oder zumindest unter Druck zu setzen, den Hamas-Führern keinen sicheren Hafen mehr zu bieten.

Völkerrechtlich umstritten, strategisch riskant

Aus völkerrechtlicher Perspektive ist der israelische Angriff auf ausländischem Boden hochproblematisch. Die gezielte Tötung politischer Akteure in einem Drittstaat – ohne dessen Zustimmung – stellt eine klare Verletzung der territorialen Souveränität dar. Derartige Aktionen gelten nach internationalem Recht nur dann als zulässig, wenn eine akute Selbstverteidigungslage besteht. Diese Schwelle ist jedoch äußerst hoch angesetzt und kaum gegeben, wenn die Bedrohung nicht unmittelbar bevorsteht.

Zudem könnte der Angriff Israels diplomatische Beziehungen zu weiteren Staaten im Golf massiv belasten. Bereits 2010 führte die Ermordung eines Hamas-Kommandeurs in Dubai, mutmaßlich durch den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad, zu einem diplomatischen Eklat – insbesondere, weil dabei europäische Pässe missbraucht worden waren. Auch jetzt ist zu erwarten, dass arabische Staaten auf Distanz zu Israel gehen könnten, selbst wenn sie strategisch mit Tel Aviv kooperieren, etwa in der Iran-Frage.

Neue Dynamik im Gaza-Konflikt?

Die gezielte Tötung von Hamas-Führern in Katar birgt zudem das Potenzial, die ohnehin festgefahrenen Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza weiter zu torpedieren. Gerade jene Personen, die nun zur Zielscheibe wurden, hatten in den vergangenen Monaten über ägyptische und katarische Kanäle indirekt mit Israel verhandelt.

Unklar bleibt, ob der israelische Angriff ein gezieltes Ende dieser Gesprächskanäle bedeutet – oder ob er nur symbolischen Charakter hatte. In jedem Fall dürfte das Vertrauen der Hamas in diplomatische Prozesse nachhaltig beschädigt sein. Das wiederum könnte die militärische Eskalation in Gaza weiter anheizen.

Unterdessen positioniert sich Netanjahu gegenüber der eigenen Bevölkerung als kompromissloser Verteidiger nationaler Sicherheit. In einer politischen Phase, in der ihm innenpolitische Gegner – vor allem in Folge des Gaza-Kriegs – Versagen vorwerfen, bietet ihm die Operation in Katar die Möglichkeit, Führungsstärke zu demonstrieren. Dass er dafür internationales Recht bricht und die Region destabilisiert, scheint ein Preis zu sein, den er bereit ist zu zahlen.

Autor: Andreas M. Brucker

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