Tag & Nacht




Wer einmal in einem der kleinen Züge der „Ligne des Hirondelles“ saß, der vergisst dieses Erlebnis nicht. Kurven, die sich durch den Jura schlängeln, Tunnel, die den Fels durchbrechen, und Viadukte, die so kühn wirken, als würden sie direkt in den Himmel gebaut. Genau deshalb trägt die Strecke ihren poetischen Namen: Schwalben-Linie. Doch so beeindruckend die Fahrt ist, so bedroht ist ihr Fortbestand.


Eine Pionierstrecke mit Symbolkraft

Die 123 Kilometer lange Verbindung zwischen Dole und Saint-Claude ist weit mehr als eine Eisenbahnlinie. 36 Tunnel und 18 Viadukte machen sie zu einem technischen Meisterwerk des 19. Jahrhunderts. Wer aus dem Fenster blickt, sieht nicht nur die Berglandschaft, sondern spürt auch die Ingenieurskunst vergangener Generationen.

Doch die Jahrzehnte haben Spuren hinterlassen. Gleise, Brücken und Tunnel sind in die Jahre gekommen, die Technik braucht dringend ein Update. Experten schätzen, dass rund 90 Millionen Euro notwendig wären, um die Strecke dauerhaft zu sichern. Für eine Region wie Bourgogne-Franche-Comté ist das eine gewaltige Summe. Deshalb richtet sich der Blick nach Paris – die Region erwartet vom Staat eine klare Zusage, dass er mitfinanziert.


Die Menschen kämpfen für ihre Bahn

Während die Politik noch diskutiert, handeln die Menschen vor Ort längst. Eine Online-Petition hat über 2.300 Unterschriften gesammelt – und täglich werden es mehr. „Ohne den Zug sind wir abgehängt“, sagen viele Bewohner des Haut-Jura, wo Busverbindungen rar und Straßen im Winter oft schwer passierbar sind.

In Städten wie Saint-Claude und Champagnole haben sich Hunderte versammelt, um ihre Stimme zu erheben. Transparente, Reden, manchmal auch Musik – die Stimmung schwankt zwischen Sorge und kämpferischer Hoffnung. Wer einmal erlebt hat, wie ein ganzer Ort für seine Bahn auf die Straße geht, versteht schnell: Hier geht es nicht nur um ein paar Schienen.


Mehr als ein Transportmittel

Die Schwalben-Linie ist Identität, Geschichte und Zukunft zugleich. Sie bringt nicht nur Menschen von A nach B, sie verbindet Generationen, Dörfer, Touristen und Einheimische. Viele Familien erinnern sich noch an Ausflüge im Sommer, wenn der Zug sich langsam durch die Berge schlängelt und Kinder an den Fenstern kleben, weil sie glauben, gleich fliegen zu können.

Darüber hinaus steht die Bahnstrecke für nachhaltige Mobilität. In einer Zeit, in der Klimaschutz kein Schlagwort, sondern eine Notwendigkeit ist, wird ihre Bedeutung noch klarer. Jeder Zug, der fährt, ersetzt dutzende Autos auf engen Bergstraßen. Und er hält eine Region lebendig, die ohne Schiene Gefahr läuft, abgekoppelt zu werden.


Was auf dem Spiel steht

Wollen wir wirklich zulassen, dass ein solches Kulturerbe verschwindet, nur weil die Mittel fehlen? Die Frage schwebt über jeder Diskussion. Denn wenn die Strecke einmal stillgelegt wird, ist ine spätere Wiedereröffnung praktisch unmöglich.

Andere Regionen in Frankreich zeigen, dass Investitionen in historische Bahnstrecken sich lohnen können: für den Tourismus, für den regionalen Zusammenhalt und für die Umweltbilanz. Genau das macht die Debatte um die Schwalben-Linie so brisant – sie ist ein Lackmustest dafür, wie ernst die Politik es mit nachhaltiger Mobilität meint.


Ein Erbe, das Zukunft braucht

Die Schwalben-Linie ist ein Symbol dafür, dass Infrastruktur mehr sein kann als Technik. Sie ist ein Stück Poesie auf Schienen, eine Lebensader für die Region und ein Versprechen an kommende Generationen.

Damit dieses Versprechen gehalten wird, braucht es den Schulterschluss von Bürgern, Region und Staat. Ohne diese gemeinsame Anstrengung wird die Strecke im Schatten verschwinden – und mit ihr ein Teil der Seele des Jura.

Autor: C.H.

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