In einem Land, das unter dem Spardruck ächzt, in dem öffentliche Einrichtungen ums Überleben kämpfen, Krankenhäuser unterbesetzt sind und Schulkantinen sparen müssen – da beschließt eine kleine Gemeinde in Südfrankreich, 80.000 Euro für Champagner auszugeben. Frohe Weihnachten, Le Barcarès! Und der Rest der Republik?
Was nach einer Karikatur klingt, ist bitterer Ernst. Die Ortschaft Le Barcarès, rund 6.000 Einwohner stark, hat ein öffentliches Ausschreibungsverfahren gestartet – nicht für eine neue Schule, nicht für Sozialwohnungen, nicht für die Sanierung maroder Infrastruktur. Sondern für edle Bläschen. Es gibt Schampus, Baby! Nicht irgendein Tropfen – sondern das Symbol französischer Opulenz schlechthin. Ein Imageprodukt, das genau das ausdrückt, was viele Bürgerinnen und Bürger an der Politik satt haben: Elfenbeinturm-Denken, Größenwahn im Kleinformat und Realitätsferne, die in diesem Fall nach Korken riecht.
Der Bürgermeister, Alain Ferrand, rechtfertigt den Kauf mit dem Wunsch nach dem „Bien vivre ensemble“, einem harmonischen Miteinander. Klingt nett. Aber braucht es dafür wirklich Champagner? Braucht es Luxus, um soziale Wärme zu erzeugen? Oder reicht vielleicht auch ein guter Muscat – der in der Region tief verwurzelt ist, bezahlbar und lokal produziert? Ferrand behauptet, die Einnahmen aus der Vermietung der Weihnachtsmarktstände würden die Kosten auffangen. Schön – aber was, wenn nicht? Und vor allem: Ist das der Maßstab für öffentliche Ausgaben? Einnahmen aus Weihnachtsbuden für Schampus statt Schulsanierung?
Die Opposition hält dagegen – und hat verdammt gute Argumente. 80.000 Euro für eine Gemeinde dieser Größe sind kein Pappenstiel. Das sind mehrere Jahre Beihilfen für Schulmaterialien. Oder ein neues Kleinbusangebot für ältere Menschen. Oder Mittel für soziale Hilfen. Und ja – auch das Personal im Rathaus hätte wohl lieber eine bessere Ausstattung als einen flotten Spruch am Champagner-Buffet.
Die Empörung ist berechtigt. Denn hinter der Entscheidung steckt mehr als ein kurzzeitiger Sektlaune-Aussetzer. Sie steht sinnbildlich für einen schleichenden Vertrauensverlust in die politische Klasse – auf lokaler wie auf nationaler Ebene. Während Bürgerinnen und Bürger zum Sparen angehalten werden, während die französische Regierung Programme kürzt und Steuerschlupflöcher schließen will, während Rentner auf ihre Rentenerhöhung warten und Erzieher:innen streiken – wird in Le Barcarès öffentlich gefeiert, als gäbe es kein Morgen.
Dass Alain Ferrand bereits in der Vergangenheit mit Justizproblemen wegen seiner Weihnachtsmarktausschreibungen zu kämpfen hatte, verleiht der Affäre eine zusätzliche, bittere Note. Vertrauen sieht anders aus.
Natürlich, man darf auch Freude haben. Natürlich sollen Städte ihre Feste feiern, ihre Einwohner wertschätzen und Touristen locken. Aber mit Maß. Und mit Sinn für die Realität. Die Entscheidung, statt Muscat nun Champagner zu verteilen, ist nicht nur ungeschickt – sie ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich Tag für Tag mit echten Problemen herumschlagen müssen.
Denn hier geht es nicht nur um Schaumwein. Es geht um Symbolpolitik, um Prioritäten, um das Verständnis dafür, was öffentliche Mittel bedeuten. Es geht darum, ob man Politik für ein Image macht – oder für die Menschen.
Der Bürgermeister von Le Barcarès scheint das verwechselt zu haben. Und zwar gründlich.
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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