Tag & Nacht


Ein Land, das Journalisten verurteilt, weil sie Fragen stellen, gerät mit Recht ins Zwielicht. Und wenn über 300 Medienhäuser eines anderen Landes unisono protestieren, ist das kein Routinevorgang, sondern ein deutliches Signal. Seit dem 26. November 2025 fordern Frankreichs bedeutendste Publikationen mit einer gemeinsamen Erklärung die sofortige Freilassung von Christophe Gleizes, einem französischen Journalisten, der in Algerien zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde – wegen Interviews, wegen Kontakten, wegen seiner Arbeit.

Gleizes, freier Reporter unter anderem für die Magazine So Foot und Society, wurde am 28. Mai 2024 bei Recherchen zum Fußballverein JS Kabylie in der gleichnamigen Region festgenommen. Der Vorwurf: Verbindungen zu einem Funktionär des Vereins, der wiederum dem makelbehafteten Mouvement pour l’autodétermination de la Kabylie (MAK) nahestehen soll – einer Bewegung, die Algeriens Regierung als terroristisch einstuft. Der Journalist habe, so das Gericht in Tizi-Ouzou, „Terrorismus verherrlicht“ und Propagandamaterial besessen, das dem nationalen Interesse schade.

Der Richterspruch vom 29. Juni 2025 stieß auf breite Empörung – in Frankreich, aber auch in Teilen der internationalen Öffentlichkeit. Die Stimmen der Solidarität argumentieren, dass Gleizes kein Verbrechen begangen habe, sondern schlicht seinem Beruf nachging. Journalismus sei kein Komplizentum, sondern Kontrolle. Kritik. Chronistenpflicht.

Es sind gewichtige Stimmen, die sich für Gleizes erheben: Neben etablierten Zeitungen wie Le Monde, Libération, Le Figaro oder Ouest-France haben sich auch 16 Journalistenschulen organisiert. Sie lesen öffentlich aus seinen Texten, sie protestieren, sie schreiben offene Briefe. Fußballvereine wie OGC Nizza oder der Paris FC haben sich angeschlossen – ebenso wie Persönlichkeiten aus Kultur und Gesellschaft.

Der koordinierte Appell der Medien ist außergewöhnlich. In Frankreichs Pressegeschichte gab es kaum vergleichbare Aktionen. Was hier zusammenkommt, ist mehr als kollegiale Fürsprache – es ist ein kollektiver Aufschrei. Einer, der sich nicht nur auf die Biographie eines einzelnen Journalisten bezieht, sondern auf die Grundfrage: Dürfen Staaten Journalisten einsperren, weil ihnen deren Fragen unbequem sind?

Die Antwort, die Frankreichs Redaktionen geben, ist deutlich: Nein. Nicht in einem freien Staat. Nicht unter dem Vorwand der Sicherheit. Nicht, wenn die Recherche – und sei sie noch so heikel – im professionellen Rahmen bleibt.

Natürlich ist die Lage komplex. Natürlich sind die Beziehungen zwischen Paris und Algier derzeit angespannt, diplomatisch fragil. Aber genau in solchen Momenten zeigt sich, ob Prinzipien wie Pressefreiheit Substanz haben – oder nur Floskeln auf Konferenzen sind. Die Medien betonen: Solche geopolitischen Verwerfungen dürfen nie dazu führen, dass Journalist:innen zu Bauern auf dem Schachbrett der Diplomatie degradiert werden.

Die Hoffnung auf eine Wende nährt sich derweil aus einem anderen Fall: Anfang November wurde der in Algerien inhaftierte Schriftsteller Boualem Sansal, ebenfalls mit französischem Pass, überraschend begnadigt. Viele deuten dies als mögliches Zeichen der Entspannung – und hoffen auf einen ähnlichen Akt der Gnade für Gleizes.

Bis zum 3. Dezember bleibt wenig Zeit – an diesem Tag soll in Tizi-Ouzou das Berufungsverfahren beginnen. Die Forderungen der Unterstützer sind klar: Ein faires Verfahren. Ein transparenter Prozess. Und vor allem: Freiheit für einen Journalisten, der nichts getan hat, außer unbequeme Fragen zu stellen.

Denn in Wahrheit geht es nicht nur um Christophe Gleizes.

Es geht um das Recht, zu recherchieren, zu dokumentieren, zu widersprechen.

Es geht um den Schutz all jener, die tagtäglich an der Frontlinie der Information stehen – in Diktaturen wie in Demokratien.

Und es geht um das Signal, das von diesem Fall ausgeht: Wird Gleizes freigelassen, wäre das ein Sieg für die Pressefreiheit. Bleibt er in Haft, ist es ein Menetekel.

Autor: Andreas M. Brucker

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