In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai wurde Paris zum Schauplatz gezielter Angriffe auf jüdische Institutionen – ein Angriff, der nicht nur Gebäude traf, sondern das Fundament demokratischer Werte erschüttert.
Grüne Farbschmierereien verunzierten den Eingangsbereich des Mémorial de la Shoah, drei Synagogen in den Arrondissements 4 und 20 sowie das bekannte jüdische Restaurant „Chez Marianne“ im Marais. Die Polizei entdeckte die Sachbeschädigungen am frühen Morgen. Auf Überwachungsvideos ist eine schwarz gekleidete Gestalt zu erkennen, die kurz vor Sonnenaufgang die Tat begeht.
Wie kann es sein, dass solche Angriffe mitten in der Hauptstadt eines freiheitlichen Landes geschehen – und das im Jahr 2025?
Symbolische Orte im Visier
Das Ziel war nicht zufällig gewählt: Der Holocaust-Gedenkort im vierten Arrondissement steht für kollektives Gedenken, für Aufarbeitung und für ein „Nie wieder!“. Auch die betroffenen Synagogen – darunter die Synagoge Agoudas Hakehilos und die Synagoge des Tournelles – sind tragende Säulen jüdischen Lebens in Paris. Das Restaurant „Chez Marianne“ ist ein Symbol jüdischer Alltagskultur und Kulinarik.
Vor dem Lokal lag ein geöffnetes Farbdöschen. Der Täter oder die Täterin wollte nicht nur Schaden anrichten – es ging um eine klare Botschaft. Eine erschreckende.
Politische Empörung und klare Worte
Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau sprach von „immensem Ekel“ und verurteilte die Taten scharf. Auch Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, fand deutliche Worte. Sie kündigte an, die Stadt werde Strafanzeige erstatten. Ihre Botschaft: Antisemitismus hat keinen Platz – weder in Paris noch in der Republik.
Auch Israel meldete sich zu Wort. Präsident Isaac Herzog zeigte sich tief betroffen. Besonders persönlich wurde es, als er erwähnte, dass sein Urgroßvater einst Rabbiner einer der betroffenen Synagogen war. Die israelische Botschaft in Frankreich sprach sogar von einer „koordinierten antisemitischen Attacke“ und kritisierte Spannungen mit Teilen der französischen Politik.
Eine bedrückende Atmosphäre
Die Anschläge fügen sich in ein Bild wachsender gesellschaftlicher Spannungen ein. Bereits 2024 war das Shoah-Memorial mit „roten Händen“ beschmiert worden – ein Symbol, das in bestimmten pro-palästinensischen Kreisen kursiert und als Provokation empfunden wird.
Damals wurde sogar über mögliche ausländische Einflussnahme spekuliert. Vor allem Russland stand im Fokus, mit dem Verdacht, gezielt innere Unruhe in Frankreich zu schüren, indem man gesellschaftliche Bruchlinien wie den Nahostkonflikt instrumentalisiert.
Nicht nur in Paris nehmen Übergriffe auf religiöse Gemeinschaften zu. Die offiziellen Zahlen zeigen: 2024 stieg die Zahl rassistischer, xenophober und religionsfeindlicher Straftaten um 11 Prozent. Welche Religionsgemeinschaften besonders betroffen sind, wurde dabei allerdings nicht konkretisiert.
Ermittlungen mit vielen offenen Fragen
Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung wegen „religionsmotivierter Sachbeschädigung“ eingeleitet. Die Pariser Sûreté territoriale übernimmt die Ermittlungen. Bislang gibt es weder eine Festnahme noch ein Bekennerschreiben. Man wertet weiter Videomaterial aus und sucht nach Spuren, um den oder die Täter zu identifizieren.
Die Tat wirft Fragen auf – nicht nur nach dem „Wer“, sondern vor allem nach dem „Warum“. Und: Wie schützt man in Zukunft Orte, die für Erinnerung, Identität und kulturelle Vielfalt stehen?
Mehr als Farbe: Ein Angriff auf Werte
Wer das Mémorial de la Shoah betritt, begegnet dem „Mur des Noms“ – der Wand der Namen. 75.568 eingravierte Schicksale jüdischer Menschen, deportiert aus Frankreich während der Shoah. Wer hier Farbe hinschmiert, attackiert nicht nur Stein und Mörtel, sondern versucht, Geschichte zu übertünchen.
Die Tat ist ein direkter Angriff auf die Erinnerungskultur, die über Jahrzehnte gewachsen ist – ein Versuch, die Lehren der Vergangenheit zu verwischen. Doch die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft zeigen: Die Erinnerung lebt. Und sie wird verteidigt.
Selbst wenn niemand verletzt wurde, sitzt der Schock tief. Denn was da in der Nacht zu Ende Mai geschah, ist keine einfache Sachbeschädigung – es ist ein Spiegelbild eines Problems, das man nicht mehr ignorieren kann.
Jetzt liegt es an Justiz, Politik und Gesellschaft, entschlossen zu handeln – und nicht in Schockstarre zu verharren. Es braucht klare Kante, mehr Schutz, mehr Aufklärung. Vor allem aber braucht es das gemeinsame Bekenntnis: Für Hass und Hetze ist kein Platz. Nirgendwo.
Von Andreas M. B.
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