Die Küsten des französischen Überseedepartements Guadeloupe Strände wirken derzeit wie aus einem Katastrophenfilm – endlose braune Algenmassen bedecken Sand und Wasser, ein beißender Geruch liegt in der Luft. Was einst ein Urlaubstraum war, entwickelt sich zu einem ökologischen und wirtschaftlichen Albtraum: Die Sargassum-Algen sind zurück – in einer Intensität, wie sie die Karibik seit Jahren nicht erlebt hat.
Ein unsichtbarer Kreislauf gerät aus dem Gleichgewicht
Eigentlich sind Sargassum fluitans und Sargassum natans keine Störenfriede, sondern Teil eines natürlichen Gleichgewichts. Als schwimmende Lebensräume bieten sie zahlreichen Meeresbewohnern Schutz und Nahrung. Doch seit rund 2011 explodiert ihr Vorkommen geradezu – und das ist kein Zufall.
Die Ursachen liegen wie so oft im Zusammenspiel menschlicher Aktivitäten mit der Natur: Düngemittel aus der Landwirtschaft, die über große Flusssysteme wie den Amazonas ins Meer gespült werden, liefern den Algen eine Extraportion Nährstoffe. Kombiniert mit steigenden Wassertemperaturen bedingt durch den Klimawandel und veränderten Meeresströmungen, die die Algen in neue Regionen treiben, entsteht ein perfektes Katastrophen-Szenario.
So formierte sich im Atlantik eine Art „Algenautobahn“ – der sogenannte Sargassum-Gürtel – der die braune Flut direkt an die Küsten der Karibik lenkt. Auch Guadeloupe bleibt davon nicht verschont.
Wenn der Algenteppich an Land schwappt
Was auf hoher See als ökologisch wertvoll gilt, wird an Land zur Gefahr. Sobald die Sargassum-Massen an den Strand gespült werden, beginnt ihr Verderben. Die Algen verrotten unter der Sonne, setzen Schwefelwasserstoff frei – ein Gas, das nicht nur widerlich riecht, sondern in hoher Konzentration auch ernsthafte Gesundheitsrisiken birgt: Atemprobleme, Übelkeit, Schwindel.
Nicht nur Menschen leiden – die Natur leidet mit. Korallenriffe, Seegraswiesen und Meeresschildkröten geraten aus dem Takt. Schildkröten etwa, die zum Eierlegen an Land kommen, finden keine geeigneten Plätze mehr. Und wer denkt, die Jungtiere könnten sich irgendwie durch die Algen kämpfen, täuscht sich – viele ersticken schlichtweg.
Dazu kommt das Problem des Sauerstoffentzugs im Wasser: Unter den Algenmatten entsteht eine Zone ohne Sauerstoff – mit verheerenden Folgen für Fische und andere Meeresbewohner. Ganze Ökosysteme drohen zu kollabieren.
Wenn das Meer kein Geld mehr bringt
Auch wirtschaftlich ziehen die Algen eine Spur der Verwüstung. Der Tourismus – Lebensader vieler karibischer Inseln – leidet massiv. Wer will schon an einem stinkenden, braunen Strand liegen?
Hotels klagen über Stornierungen, Strandbars machen dicht. Fischer können nicht mehr auslaufen, ihre Netze verfangen sich in den Algen. Dazu kommt der Rückgang der Fischbestände – und schon stehen ganze Familien ohne Einkommen da.
Ein weiteres Problem: die Infrastruktur. Wasseraufbereitungsanlagen verstopfen, Kühlwassereinlässe von Kraftwerken werden lahmgelegt – ein Teufelskreis. 2022 lagen die wirtschaftlichen Verluste auf Guadeloupe laut CARICOM bei rund 94 Millionen Euro – und das war vermutlich noch konservativ gerechnet.
Kampf gegen Windmühlen?
Guadeloupe lässt sich das nicht einfach gefallen. Im Gegenteil – die Behörden stemmen sich mit aller Kraft gegen das Problem. Mit großem Aufwand werden Strände regelmäßig von Maschinen und Reinigungsteams gesäubert. Aber was bringt das, wenn am nächsten Tag wieder tonnenweise Algen angeschwemmt werden?
Zudem setzt man auf Hightech: Satellitenbilder helfen dabei, Algenbewegungen frühzeitig zu erkennen. Ein Frühwarnsystem, das zumindest ein wenig Planung erlaubt.
Und dann ist da noch die Forschung: Wissenschaftler suchen fieberhaft nach Wegen, wie man die Algen nutzen kann – etwa zur Produktion von Biogas oder als nachhaltigen Dünger. Klingt vielversprechend – doch viele dieser Projekte stecken noch in den Kinderschuhen.
Zeit für einen Strategiewechsel?
Die Situation in Guadeloupe zeigt exemplarisch, wie lokale Umweltprobleme globale Ursachen haben – und wie schwer es ist, sich diesen zu entziehen. Solange weltweit Düngemittel ungehemmt eingesetzt werden und der Klimawandel weiter voranschreitet, wird die Sargassum-Flut nicht abreißen.
Ein nationales oder gar regionales Vorgehen reicht da nicht. Was es braucht, ist ein international abgestimmter Maßnahmenkatalog – vom Amazonasgebiet bis zur Karibikküste.
Aber: Wer fühlt sich wirklich zuständig?
Und nun?
Die Menschen in Guadeloupe stehen vor einer echten Zerreißprobe – zwischen wirtschaftlichem Überleben, Umweltzerstörung und gesundheitlicher Belastung. Doch sie zeigen auch, dass Engagement möglich ist – und dass man nicht kampflos untergeht.
Vielleicht braucht es genau solche Krisen, um endlich umzudenken. Vielleicht liegt in der braunen Flut auch eine Chance – für mehr globale Verantwortung, für innovative Lösungen und für ein neues Verhältnis zur Natur.
Klingt das naiv? Vielleicht. Aber was wäre die Alternative?
Von C. Hatty
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