Wasser, wohin das Auge blickt. Im französischen Département Calvados hat die Natur erneut zugeschlagen – und das mit voller Wucht. Der kleine Ort Clécy, idyllisch am Fluss Orne gelegen, ist zum zweiten Mal innerhalb eines Monats überflutet. Die Bewohner stehen buchstäblich knietief in einer Katastrophe, die keine Pause einzulegen scheint.
Ein Dorf im Ausnahmezustand
Fabrice Royackkers, Besitzer eines charmanten kleinen Restaurants in Clécy, blickt mit leeren Augen auf das, was einst sein Lebenswerk war. Jetzt steht das Wasser im Gastraum. „Hier war alles so schön – jetzt ist nichts mehr übrig“, sagt er, während er über die Terrasse stapft, die wie ein kleiner See wirkt.
Schon zum zweiten Mal in diesem Monat hat die Orne das Dorf überflutet. „Man kommt sich vor wie in einer Schleife – gerade denkt man, es ist vorbei, und dann geht es wieder los“, erzählt Fabrice. In wenigen Stunden hatte der Fluss alles überschwemmt, was ihm im Weg stand. Die Route nationale, die Hauptverkehrsader der Region, ist nicht mehr befahrbar. Stattdessen bahnen sich Boote den Weg, wo eigentlich Autos fahren sollten.
Wiederkehrende Fluten: Ein Alarmsignal
Die Situation in Clécy ist kein Einzelfall. Bereits im vergangenen Jahr wurde der Ort dreimal überschwemmt. Ein Bewohner, der seit 17 Jahren hier lebt, bringt es auf den Punkt: „Früher waren Überschwemmungen eine Seltenheit, jetzt passiert es fast jedes Jahr. Und jedes Mal scheint es schlimmer zu werden.“
Die Orne, ein sonst eher beschaulicher Fluss, hat eine neue, bedrohliche Seite gezeigt. Ihr Pegel stieg um über zwei Meter an – und das in kürzester Zeit. Gärten, Straßen, Keller – alles wurde vom Wasser erfasst. Die Bewohner von Clécy sind es leid. „Wir fühlen uns vergessen. Jedes Mal reden die Politiker von Lösungen, aber es passiert nichts“, sagt ein anderer Anwohner, während er Sandsäcke vor seine Haustür stapelt.
Warum diese Häufung?
Man fragt sich zwangsläufig: Warum werden Hochwasserereignisse immer häufiger? Ist das alles wirklich nur Zufall? Oder sind wir hier Zeugen einer Veränderung, die weit über Clécy hinausgeht?
Die Antwort liegt nicht nur in der Natur, sondern auch im menschlichen Handeln. Der Klimawandel spielt eine zentrale Rolle. Warme Temperaturen erhöhen die Feuchtigkeitsaufnahme der Luft, was zu heftigeren Regenfällen führt. Gleichzeitig sind viele Flüsse in Frankreich durch menschliche Eingriffe – wie Begradigungen und Bebauung in Flussnähe – ihrer natürlichen Rückzugsräume beraubt worden. Was passiert, wenn ein Fluss keine Auen hat, in die er übertreten kann? Er sucht sich seinen Weg durch Dörfer, Städte und Felder.
Aber es gibt noch einen anderen Punkt: Die Böden in der Normandie sind nach den intensiven Regenfällen der letzten Wochen völlig gesättigt. Jeder neue Tropfen Wasser hat nur noch einen Weg – direkt in die Flüsse.
Clécy – ein Beispiel für viele
Clécy mag in den Schlagzeilen stehen, doch ähnliche Geschichten spielen sich in vielen Teilen Frankreichs ab. Besonders in der Normandie kämpfen Gemeinden immer wieder mit den gleichen Herausforderungen. Ein Beispiel dafür ist eine Stadt nur 50 Kilometer von Clécy entfernt, die ebenfalls Opfer eines Flusses wurde, der über die Ufer trat. Dort verwandelte sich die Hauptstraße in ein reißendes Gewässer.
Die Wiederholung solcher Szenen zeigt, dass wir es hier mit einem strukturellen Problem zu tun haben. Es reicht nicht mehr, nach jedem Hochwasser den Schaden zu reparieren. Es braucht langfristige Maßnahmen – und zwar jetzt.
Lösungsansätze: Zwischen Hoffnung und Realismus
Die Bürgermeister von Clécy und anderen betroffenen Gemeinden stehen vor einer schier unmöglichen Aufgabe. Wie soll man gegen einen Fluss kämpfen, der scheinbar immer mächtiger wird? Einige Vorschläge liegen auf dem Tisch:
- Renaturierung von Flüssen: Flüsse wie die Orne brauchen Raum, um sich auszubreiten, ohne Schaden anzurichten. Das bedeutet, dass man überflutbare Flächen schaffen und Auen wiederherstellen müsste.
- Bessere Infrastruktur: Hochwasserschutzwände, Rückhaltebecken und Entwässerungssysteme könnten helfen, die Wassermassen zu kontrollieren.
- Vorausschauende Stadtplanung: Neubauten in Flussnähe sollten strenger reguliert oder ganz verboten werden.
Doch diese Maßnahmen kosten Zeit und vor allem Geld. Kleine Gemeinden wie Clécy verfügen oft nicht über die finanziellen Mittel, um solche Projekte umzusetzen. Hier ist die nationale Regierung gefragt, die Weichen für den Hochwasserschutz der Zukunft zu stellen.
Was bleibt?
Die aktuelle Lage zeigt einmal mehr, wie sehr wir Menschen auf die Kräfte der Natur angewiesen sind – und wie schnell diese Kräfte unser Leben auf den Kopf stellen können. Die wiederholten Überschwemmungen in Clécy und anderswo sind ein Weckruf.
Aber es gibt auch Hoffnung. Denn solche Krisen bringen nicht nur Zerstörung, sondern auch Solidarität mit sich. Nachbarn helfen einander, Freiwillige arbeiten rund um die Uhr, um Sandsäcke zu verteilen und Keller leer zu pumpen.
Vielleicht braucht es genau diesen Zusammenhalt, um langfristig Lösungen zu finden. Die Frage ist nur: Wie viele Fluten müssen noch kommen, bevor die Verantwortlichen handeln?
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