Der rote Teppich von Cannes – Sinnbild für Eleganz, Extravaganz und nicht selten eine Prise Skandal. Doch in diesem Jahr sorgt nicht ein Kleid für Schlagzeilen, sondern das, was künftig nicht mehr zu sehen sein darf: nackte Haut und voluminöse Roben. Die Festivalleitung zieht die Reißleine und führt strenge Dresscode-Regeln ein. Der Grund? „Anstand“ und „Protokoll-Fluidität“. Klingt bürokratisch, hat aber Zündstoff.
Aufreizende Outfits – ein Markenzeichen von Cannes
Seit Jahrzehnten ist Cannes ein Laufsteg für gewagte Looks. Wer erinnert sich nicht an Bella Hadids fast vollständig transparentes Kleid oder die tiefen Schlitze à la Angelina Jolie? Provokation war hier nie ein Unfall, sondern Kalkül – ein Statement, das genauso zum Festival gehört wie goldene Palmen und Blitzlichtgewitter.
Doch damit soll jetzt Schluss sein. Was früher gefeiert wurde, ist heute Anlass für neue Verbote. Wie kam es so weit?
Modefreiheit trifft auf Gesetz und Etikette
Der neue Dresscode verbietet explizit „Nacktheit“ und übergroße Kleider. Angeblich stören sie den Ablauf auf dem roten Teppich und verstoßen gegen französisches Recht zur öffentlichen Zurschaustellung von Nacktheit. Man will den Glamour zähmen – ohne das Spektakel gleich zu ersticken.
Anlass für diese Neuregelung war unter anderem eine Aktivistin, die 2022 oben ohne protestierte – ein Moment, der in die Schlagzeilen geriet und die Festivalleitung in Zugzwang brachte. Aber ist ein Verbot wirklich die Lösung?
Kreative im Zwiespalt
Der Aufschrei in der Modewelt ließ nicht lange auf sich warten. Designer fühlen sich in ihrer kreativen Freiheit beschnitten, Stars vermissen das Spiel mit Grenzen. Die einen sehen ihre Ausdrucksmittel eingeschränkt, die anderen begrüßen mehr Kontrolle über den Auftritt.
Die Schauspielerin und Chefin der diesjährigen Jury, Juliette Binoche, etwa befürwortet die Änderungen, weil damit gleichzeitig auch veraltete Vorschriften – wie das Stöckelschuhgebot für Frauen – aufgehoben wurden. Sie sieht einen Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung, weniger Zwang und mehr Fokus auf das Wesentliche.
Mode oder Moral?
Hier prallen Welten aufeinander: Auf der einen Seite die Kunst der Mode – bunt, frei, rebellisch. Auf der anderen Seite ein Festival, das um seine Würde ringt. Was ist wichtiger – der respektvolle Rahmen oder die künstlerische Freiheit?
Zwischen Zensur und Stilfrage
Die Diskussion hat eine größere Dimension. Es geht nicht nur um Kleider. Es geht um Freiheit, Gleichstellung, die Rolle von Frauen im öffentlichen Raum. Die neue Regelung ist da wie ein Korsett – sie engt ein, wo früher Raum war zum Atmen, Tanzen, Strahlen.
Aber vielleicht – nur vielleicht – ist genau das die Chance, Mode neu zu denken. Weniger Haut, dafür mehr Haltung? Weniger Spektakel, mehr Substanz?
Das Festival zwischen der Tradition eines Filmfests und dem Bedürfnis, sich den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich Cannes damit neu erfindet oder einen Teil seines Zaubers verliert.
Denn am Ende bleibt eine Frage offen: Was bleibt von einem Festival, das sich selbst den Glanz nimmt?
Von C. Hatty
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