Tag & Nacht




Der rote Teppich des Filmfestivals von Cannes ist seit heute wieder ausgerollt und ist ein Laufsteg der Extraklasse. Stars aus aller Welt präsentieren sich, Kameras blitzen, Champagner fließt – und hin und wieder fliegen die Fetzen. Denn so sehr Cannes als Synonym für künstlerische Exzellenz gilt, so sehr steht es auch für Eklats, Proteste und große Aufreger. Eine Reise durch die aufsehenerregendsten Skandale der Festivalgeschichte zeigt: Die Croisette ist nicht nur Kulisse für Filme, sondern auch Bühne für gesellschaftliche Spannungen.


1954: Nacktheit, die alles überschattet

Als die Schauspielerin Simone Silva während eines Fototermins ihre Oberweite entblößt und sich neben Hollywood-Star Robert Mitchum räkelt, bricht ein medialer Sturm los. Das war zu einer Zeit, als Prüderie noch gesellschaftlicher Standard war – vor allem in den USA. Silva wird kurzerhand des Festivals verwiesen. Ihre Karriere endet damit jäh. Drei Jahre später stirbt sie jung, mit nur 29 Jahren.


1968: Wenn der Protest Regie führt

Mai ’68. Frankreich bebt unter dem Druck von Studenten- und Arbeiterprotesten. Auch in Cannes entlädt sich der Unmut. Truffaut, Godard und andere Filmgrößen stoppen eigenhändig Vorführungen – aus Solidarität mit den Protestbewegungen. Der Festivalbetrieb wird eingestellt. Für viele ein Symbol: Kunst als Widerstand.


1983: Wenn Fotografen leer ausgehen

Isabelle Adjani, französische Schauspielikone, verweigert sich den Paparazzi. Kein Lächeln, kein Posing. Das lässt sich die Fotografenmeute nicht gefallen: Sie legt demonstrativ ihre Kameras nieder, dreht Adjani den Rücken zu. Der „Adjani-Boykott“ geht in die Geschichte ein – ein stilles, aber deutliches Statement.


1987: Buh-Rufe und ein erhobener Mittelfinger

Maurice Pialats „Sous le soleil de Satan“ gewinnt die Goldene Palme – gegen die Erwartungen vieler. Das Publikum buht. Der Regisseur bleibt ungerührt, ballt die Faust und sagt ins Mikro: „Wenn ihr mich nicht mögt – ich euch auch nicht.“ Ein Moment voller Trotz, ein Denkmal für ungeschönte Ehrlichkeit.


2003: Der Skandal heißt Gallo

„The Brown Bunny“ von Vincent Gallo polarisiert. Eine explizite Sexszene löst einen regelrechten Aufruhr aus. Roger Ebert nennt den Film „das Schlechteste, das Cannes je gesehen hat“. Gallo kontert mit wüsten Beleidigungen. Was bleibt? Eine mediale Schlammschlacht und ein veritabler Tiefpunkt cineastischer Diplomatie.


2011: Lars von Trier und der Tabubruch

Manchmal sagt ein Satz mehr als ein ganzes Drehbuch. Als von Trier auf einer Pressekonferenz äußert, er „verstehe Hitler“, stockt selbst den abgebrühtesten Festivalgästen der Atem. Die Leitung reagiert sofort: Persona non grata – ein Bann ohne Wenn und Aber.


2015: High Heels oder nichts?

Beim sogenannten „Heelgate“ werden Frauen vom roten Teppich verbannt – weil sie flache Schuhe tragen. Eine absurde Vorschrift, die schnell zur internationalen Debatte wird. Julia Roberts reagiert charmant trotzig: barfuß auf die Treppe. Eine stille Revolte mit lauter Wirkung.


2018: #MeToo trifft Cannes

Asia Argento nutzt die Bühne der Abschlusszeremonie für eine schockierende Enthüllung: Sie wurde 1997 von Harvey Weinstein während des Festivals vergewaltigt. In diesem Moment bekommt das Festival ein neues Gesicht – eines, das nicht nur glamourös, sondern auch tiefgründig ist. Der Applaus ist zögerlich, dann tosend.


2025: Regelwut auf dem roten Teppich

Ganz aktuell: Die Festivalleitung verbannt zu freizügige Outfits vom roten Teppich. Begründung? „Sicherheit und Anstand“. Was das konkret bedeutet, bleibt vage. Fakt ist: Mancher sieht in der Regel ein Comeback der prüden Zensur – andere feiern das Ende der „Naked Dresses“. Wo beginnt Kunstfreiheit, wo endet sie?


Cannes ist eben mehr als ein Festival – es ist ein Spiegel. Für Eitelkeiten, Emotionen, Eskalationen. Manchmal tobt dort ein Sturm im Champagnerglas, manchmal ein echter Kulturkampf. Und seien wir ehrlich: Wäre Cannes ohne all die Skandale nicht einfach nur… langweilig?

Von C. Hatty

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