Einst waren sie das Herz der Landstraße, das Wohnzimmer der Fahrer und die Rettung hungriger Urlauber: die Relais Routiers. Gasthäuser am Straßenrand, wo Lkw-Fahrer, Familien auf Reisen und Handwerker nebeneinander am Tresen saßen – vereint durch Steak-frites und einen Pastis. Doch mit dem Siegeszug der Autobahnen und dem Tempo der modernen Mobilität schien ihre Zeit vorbei. Jetzt kehren sie zurück. Und zwar ausgerechnet auf der legendären Nationalstraße 7.
Die N7 – das war früher mehr als eine Straße. Es war ein Versprechen. Paris–Côte d’Azur, Asphalt gewordene Sehnsucht, gesäumt von Lavendelfeldern, Tankstellen und eben jenen Relais, die mit dampfenden Tellern und schnodderigem Charme die Reisenden versorgten. In den 1960er Jahren zählte Frankreich über 3.500 solcher Lokale – heute sind es kaum mehr als 350.
Was ist passiert?
Vom Stammtisch zur Schließung
Der Rückgang begann schleichend. Neue Autobahnen führten den Verkehr vorbei an den Dörfern, vorbei an den Tresen. Gesetzliche Auflagen, strengere Hygienevorschriften, steigende Betriebskosten – und plötzlich standen sie leer, die Säle mit den karierten Tischdecken.
Auch auf der N7 blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Viele der Traditionsbetriebe, in denen einst drei Gänge für 10 Francs gekocht wurden, konnten dem Druck nicht standhalten. Wer heute dort entlangfährt, sieht oft nur noch verblasste Schilder, verrostete Zapfsäulen und Geschichten, die keiner mehr erzählt.
Aber: Ein paar dieser Geschichten schreiben sich gerade neu.
Frischer Wind auf alten Tischen
In Orgon, am Fuße der Alpilles, zeigt Helena Amourgis, wie das gehen kann. Ihr „Relais des Fumades“ hat sich gewandelt – von der reinen Trucker-Anlaufstelle zum Anziehungspunkt für Bauarbeiter, Anwohner und Urlauber. Das „Menu Routier“ für 17,90 Euro? Ein voller Teller mit Geschmack und Herz. Kein Chichi, keine Schäumchen – dafür wieder mehr volle Parkplätze.
Auch in der Drôme tut sich etwas. Das Relais de Donzère etwa setzt auf Vielfalt: ein bisschen traditionell, ein bisschen modern, familienfreundlich, aber mit Wurzeln im Straßenstaub. Man spürt: Diese Orte wollen nicht zurück in die Vergangenheit – sie wollen Teil der Gegenwart sein. Und sie tun das mit einem ganz eigenen Selbstverständnis.
Der Mythos lebt – jetzt auch in der Stadt
Skurril, aber wahr: Die größte Überraschung kommt nicht von der Landstraße, sondern aus der Stadt. In Paris eröffnen Gastronomen unter dem berühmten blau-roten Siegel der Relais Routiers neue Lokale – mitten in Szenevierteln wie dem 11. oder 18. Arrondissement.
Was zieht die Menschen an?
Echte Küche. Ehrliches Essen. Keine QR-Menüs, keine Einwegästhetik. Sondern Andouillette, Kartoffelgratin und ein Digestif aufs Haus. Hier treffen sich Studenten mit nostalgischen Eltern, Hipster mit Fernfahrerfantasien – ein Schmelztiegel, der vielleicht näher an der ursprünglichen Idee liegt als so mancher Oldtimer-Club.
Zwischen Sehnsucht und Zukunft
Natürlich: Das Revival ist zart. Und fragil. Die meisten Relais müssen nach wie vor ums Überleben kämpfen. Doch das neue Interesse – auf dem Land wie in der Stadt – lässt hoffen. Denn was sich hier andeutet, ist mehr als bloße Nostalgie.
Es ist ein Bedürfnis.
Nach Orten, an denen Menschen noch mit Namen begrüßt werden. Wo man fragt: „Wie war die Fahrt?“ – und nicht nur „Karte oder Bar?“. Wo die Portionen groß und die Geschichten größer sind. Und wo das Summen der Straße nie ganz verstummt.
Bleibt die Frage: Können sich die Relais Routiers wirklich neu erfinden, ohne sich selbst zu verlieren?
Antwort: Einige sind längst dabei.
Und wer einmal wieder auf der N7 unterwegs ist – sollte den Blinker nicht zu spät setzen.
Autor: Andreas M. Brucker
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