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Mit dem unerwarteten Sieg in der demokratischen Vorwahl zur Bürgermeisterwahl in New York hat Zohran Mamdani ein politisches Erdbeben ausgelöst. Der junge Abgeordnete aus Queens steht für eine neue, entschlossen linke Vision für die Metropole – und möglicherweise für die Zukunft urbaner Politik in den USA.

Geboren 1991 in Kampala, Uganda, als Sohn des renommierten Politikwissenschaftlers Mahmood Mamdani und der indischstämmigen Regisseurin Mira Nair, verkörpert Zohran Mamdani eine seltene Verbindung von globalem Erbe und lokaler Verankerung. Seit seinem siebten Lebensjahr lebt er in New York – genauer: im multikulturellen Stadtteil Astoria in Queens, den er seit 2021 im State Assembly von New York vertritt. Politisch sozialisiert im Umfeld der Democratic Socialists of America (DSA), versteht er sich als Sprachrohr jener städtischen Bevölkerung, die sich vom politischen Establishment vernachlässigt fühlt: Mieter mit prekären Wohnverhältnissen, Einwanderer ohne starke Lobby, junge Familien, die sich das Leben in der Stadt kaum leisten können.

Von der Peripherie ins Zentrum: Ein disruptiver Wahlsieg

Als Mamdani im Sommer 2025 seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters von New York City bekanntgab, galt er als Außenseiter. Umso überraschender war sein Sieg gegen den prominenten Kontrahenten Andrew Cuomo, ehemaliger Gouverneur des Bundesstaats. Mit diesem Ergebnis verschoben sich die tektonischen Platten des städtischen Parteiensystems. Dass ein erklärter Sozialist mit muslimischem Hintergrund und ohne langjährige Regierungserfahrung die Vorwahl in einer der komplexesten Städte der Welt gewinnen konnte, verweist auf tieferliegende Veränderungen.

Wie war das möglich? Zum einen gelang Mamdani der Aufbau einer breiten Koalition: Neben den klassischen linksorientierten Wählern in Brooklyn und Queens mobilisierte er in hohem Maße asiatisch-amerikanische, südasiatische sowie arabischstämmige Communities – Milieus, die sich in der Vergangenheit politisch unterrepräsentiert sahen. Laut City & State New York lag seine Zustimmung in diesen Gruppen teils über 60 %.

Zum anderen sprach er Themen an, die im täglichen Leben vieler New Yorker eine zentrale Rolle spielen, ohne in technokratischer Sprache zu verharren. Sein Programm: ein Mietenstopp für stabilisierte Wohnungen, kostenloser Nahverkehr, steuerliche Umverteilung zugunsten des Bildungs- und Sozialbereichs, Ausbau von Kinderbetreuung. Es sind Maßnahmen, die sozialpolitisch ambitioniert wirken, zugleich aber realitätsnah erscheinen – zumindest in einer Stadt mit milliardenschwerem Haushalt.

Mehr als Anti-Trump: Ein städtischer Internationalist

Die Versuchung ist groß, Mamdani als das linke Gegenbild zu Donald Trump zu stilisieren – und in gewisser Weise erfüllt er diese Rolle auch. Während Trump nationalistische, autoritär gefärbte Botschaften sendet, steht Mamdani für einen inklusiven, internationalistisch geprägten Politikansatz. Doch der Vergleich greift zu kurz.

Denn Mamdani richtet seinen Fokus nicht auf Washington, sondern auf die Metropole selbst. Seine Agenda ist weniger eine Reaktion auf den aktuellen Trumpismus als vielmehr eine eigenständige Vision für eine gerechtere, lebenswertere Stadt. In einem Interview mit der Washington Post betonte er: „New York kann ein Modell dafür sein, wie man urbanen Wohlstand gerechter verteilt – nicht trotz, sondern wegen unserer Vielfalt.“

Tatsächlich ist Mamdanis politische Herkunft tief in den urbanen Kämpfen verankert. Sein Aktivismus gegen Zwangsräumungen und für migrantische Rechte begann lange vor seiner Wahl ins Parlament des Bundesstaates New York. Dass er nun auf dem Sprung ist, Bürgermeister zu werden, zeugt nicht nur von seiner Popularität, sondern auch vom Wandel des politischen Bewusstseins in Amerikas größten Städten.

Herausforderungen eines radikalen Mandats

Doch der Weg von der programmatischen Mobilisierung zur praktischen Regierungsfähigkeit ist lang. Mamdani steht vor einer Reihe ernstzunehmender Herausforderungen:

  1. Regierungserfahrung: Mit nur vier Jahren im New Yorker Parlament verfügt Mamdani über ein begrenztes institutionelles Profil. Im Gegensatz dazu hatten seine Vorgänger meist jahrzehntelange Erfahrung in Verwaltung oder Politik. Ob er fähig ist, die riesige Verwaltung der Stadt – mit über 300.000 Beschäftigten – effektiv zu führen, bleibt offen.
  2. Außenpolitische Reibungen: Einige seiner öffentlichen Aussagen zum Nahostkonflikt – insbesondere seine Kritik an der israelischen Besatzungspolitik – haben in New Yorks jüdischen Gemeinden für Unmut gesorgt. Eine Resolution zum Holocaust-Gedenktag unterstützte er 2024 aus politischen Gründen nicht, was landesweit Debatten auslöste (Politico, ABC News).
  3. Realitätscheck im Haushalt: New Yorks Haushalt ist komplex, stark an wirtschaftliche Zyklen gebunden und von Bundesmitteln abhängig. Wie weit Mamdani seine sozialen Reformpläne realisieren kann, wird wesentlich davon abhängen, ob er neue Einnahmen mobilisieren kann – etwa durch eine Reichensteuer – ohne die Abwanderung von Unternehmen zu provozieren.

Was New York signalisiert – und was nicht

Ein Wahlsieg Mamdanis bei der Bürgermeisterwahl im November 2025 wäre zweifellos ein starkes Signal: dass eine dezidiert linke, multiethnisch fundierte Politik in einer globalen Metropole mehrheitsfähig sein kann. Damit würde New York in einer Reihe mit Städten wie Barcelona, Berlin oder Montreal treten, wo in den letzten Jahren ähnliche Entwicklungen zu beobachten waren.

Gleichzeitig bleibt es ein städtisches Phänomen. Anders als Bernie Sanders oder Elizabeth Warren sucht Mamdani nicht den Weg in die nationale Politik – zumindest nicht jetzt. Seine Themen sind kommunal: Wohnraum, Nahverkehr, Bildungsinfrastruktur. Das macht seine Kandidatur nicht weniger relevant, aber es relativiert die Vorstellung eines „linken Anti-Trump“.

Dennoch: In einer politischen Landschaft, die oft von Stillstand geprägt ist, könnte Mamdani zum Vorbild werden – für eine urbane Linke, die pragmatisch, aber nicht resigniert agiert; die Identitätspolitik nicht scheut, aber sie in ein gesamtgesellschaftliches Projekt einbettet.

Wenn ihm der Spagat zwischen Idealismus und Regierungsrealität gelingt, könnte seine Amtszeit über New York hinaus wirken. Nicht als Gegenpol zu Trump, sondern als Skizze für ein anderes Amerika.

Autor: Andreas M. Brucker

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