Tag & Nacht




Das Jahr 2024 hat in Deutschland eine neue Klimarealität offengelegt. Mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 10,9 Grad Celsius war es das wärmste Jahr seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Der bisherige Rekord aus dem Jahr 2023 wurde um 0,3 Grad übertroffen – ein signifikanter Sprung in klimatologischen Maßstäben.

Jede Messung ein Signal

Bemerkenswert war die durchgängige Wärme über alle zwölf Monate hinweg. Kein einziger Monat lag unter den langjährigen Mittelwerten des Referenzzeitraums 1961 bis 2020. Besonders auffällig: Der Februar 2024, in dem die Temperaturen in Norddeutschland im Schnitt 6,2 Grad über dem Vergleichszeitraum 1961 bis 1990 lagen.

Ein Extremwert, der weit über die übliche Schwankungsbreite hinausgeht – und auf einen beschleunigten Erwärmungstrend hinweist, der auch von internationalen Klimabeobachtungsstellen bestätigt wird.

Ein Sommertag im Frühling

Noch markanter war der frühe Temperaturanstieg im Frühjahr. Bereits am 5. April wurde in mehreren Regionen ein offizieller Sommertag verzeichnet – mit Tageshöchstwerten über 25 Grad Celsius. Am 6. April meldete die Station in Ohlsbach (Baden-Württemberg) sogar über 30 Grad. So früh im Jahr wurden derartige Werte in Deutschland bisher nicht gemessen.

Diese Entwicklung ist nicht nur ein meteorologisches Novum. Sie steht exemplarisch für die veränderte Dynamik im europäischen Wettergeschehen – und für das, was Klimaforscher als „Verschiebung der Jahreszeiten“ bezeichnen.

Niederschläge und Sonnenschein: Zwei Extreme auf engem Raum

Das Jahr brachte nicht nur Rekordtemperaturen, sondern auch außergewöhnlich hohe Niederschlagsmengen. Mit rund 902 Millimetern landesweitem Durchschnitt war 2024 eines der regenreichsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. In vielen Regionen trugen die starken Regenfälle dazu bei, die in den Vorjahren abgesunkenen Grundwasserspiegel wieder anzuheben.

Gleichzeitig verzeichnete Deutschland mit durchschnittlich 1.675 Sonnenstunden auch eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Sonnenstunden im Vergleich zum Mittel der Jahre 1991 bis 2020. Das Nebeneinander von intensiver Sonneneinstrahlung und starken Niederschlägen verdeutlicht die zunehmende Volatilität des Klimasystems.

Neue Klimatrendlinie – neue Realität

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat angesichts dieser Entwicklungen eine neue Klimatrendlinie eingeführt. Ziel: Eine präzisere Darstellung des langfristigen Erwärmungstrends. Demnach hat sich Deutschland seit Beginn der Industrialisierung bereits um 2,5 Grad Celsius erwärmt – eine Zahl, die über dem globalen Durchschnitt liegt und Deutschland zu einer der besonders stark betroffenen Regionen Europas macht.

Was bedeutet das konkret für den Alltag? Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Städte, die Landwirtschaft, die öffentliche Gesundheit?

Hitzebelastung und soziale Ungleichheit

Die gesundheitlichen Risiken durch Hitzewellen nehmen deutlich zu. Städte heizen sich besonders stark auf – mit spürbaren Auswirkungen für vulnerable Bevölkerungsgruppen wie ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Vorerkrankungen oder ohne festen Wohnsitz. In dicht bebauten Stadtquartieren entstehen sogenannte „Hitzeinseln“, die sich nachts kaum noch abkühlen. Die Belastung ist real, messbar – und sie trifft nicht alle gleichermaßen.

Es stellt sich zunehmend die Frage: Wie gerecht sind unsere Städte auf die klimatischen Herausforderungen vorbereitet?

Die Klimakrise wirkt als Verstärker sozialer Ungleichheit. Wer keinen Zugang zu kühlem Wohnraum oder schattigen Grünflächen hat, ist gesundheitlich stärker gefährdet. Klimaanpassung darf deshalb nicht nur technologische Lösungen fokussieren, sondern muss soziale Aspekte konsequent mitdenken.

Wissenschaftliche Zusammenarbeit als Schlüssel

Die Komplexität der aktuellen klimatischen Entwicklungen zeigt: Einzelne Disziplinen stoßen an ihre Grenzen. Gefragt sind interdisziplinäre Ansätze – ein Dialog zwischen Klimaforschung, Sozialwissenschaft, Stadtplanung, Medizin und Ökonomie. Nur so lassen sich Anpassungsstrategien entwickeln, die sowohl effektiv als auch gerecht sind.

Ein Jahr als Wendepunkt

2024 markiert einen Einschnitt. Die Häufung und Intensität der Wetterextreme unterstreicht, dass der Klimawandel kein abstraktes Zukunftsszenario mehr ist. Er ist Realität. Und er trifft Deutschland mit voller Wucht.

Zugleich verdeutlicht dieses Jahr, wie dringend politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Antworten erforderlich sind. Denn auch wenn die Emissionskurven derzeit kaum sinken – das Wissen über Ursachen und mögliche Lösungen ist vorhanden. Es liegt an der Umsetzung.

Die Frage, die sich nach diesem Jahr stellt, ist nicht mehr: „Kommt der Klimawandel?“ Sondern: „Wie schnell und wie entschlossen begegnen wir ihm?“

Autor: MAB

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