In den letzten Wochen haben sich die transatlantischen Beziehungen erheblich verschlechtert. Am 12. Februar führte Präsident Donald Trump ein Telefonat mit Wladimir Putin, um über die Zukunft der Ukraine zu verhandeln – ohne die europäischen Verbündeten einzubeziehen. Zwei Tage später hielt Vizepräsident J.D. Vance eine scharfe Rede, die die Europäische Union hart traf. Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte zudem: „Es ist an der Zeit zu investieren, denn Sie können nicht davon ausgehen, dass die amerikanische Präsenz ewig andauert.“ Während in Riad Gespräche zwischen Amerikanern und Russen stattfanden, versuchten europäische Staats- und Regierungschefs, eingeladen von Emmanuel Macron, in Paris eine gemeinsame Reaktion zu formulieren. Die transatlantischen Beziehungen stehen vor einer ernsthaften Zerreißprobe.
Ein historischer Bruch in den transatlantischen Beziehungen?
Serge Jaumin, Professor für Zeitgeschichte an der Université libre de Bruxelles und Co-Direktor des Centre interdisciplinaire d’étude des Amériques (AmericaS), äußert sich vorsichtig, aber skeptisch: „Es könnte der Beginn eines historischen Bruchs sein. Ich sage ‚könnte‘, weil wir abwarten müssen, was die nächsten Tage bringen, aber die Zeichen stehen schlecht. Faszinierend und erschreckend ist, dass kaum einen Monat nach Donald Trumps Amtsantritt ein Teil der Weltordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, zu zerfallen scheint.“
Die Nachkriegsordnung und die transatlantische Allianz
Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte das amerikanische Modell die europäischen Gesellschaften maßgeblich. Bereits seit den 1930er Jahren, und verstärkt nach 1945, spricht man von einer „Amerikanisierung“ Europas. Während des Kalten Krieges bildeten Europa und die USA eine Allianz gegen die Sowjetunion. Europa profitierte vom amerikanischen Schutzschild, und es entstand eine starke Abhängigkeit von den USA. Der Marshallplan half Europa beim wirtschaftlichen Wiederaufbau, während die USA ihre geopolitischen Interessen verfolgten.
Wandel nach dem Kalten Krieg
Mit dem Ende des Kalten Krieges blieben die transatlantischen Beziehungen eng, doch in den USA entwickelte sich schrittweise eine isolationistische und unilaterale Tendenz. Es entstand das Gefühl, dass es unlogisch sei, weiterhin in diesem Ausmaß zur europäischen Verteidigung beizutragen. Diese Bedenken wurden zunächst höflich geäußert, doch der Druck nahm zu, insbesondere während Donald Trumps erstem Amtsjahr 2016, als er deutlich machte, dass die USA nicht länger bereit seien, die Hauptlast der europäischen Sicherheit zu tragen.
Frühere Konflikte: Der Irak-Krieg 2003
Der Irak-Krieg 2003 stellte einen bedeutenden Konfliktpunkt dar. Europa begann, seine bedingungslose Ausrichtung an die USA in der Außenpolitik zu hinterfragen, insbesondere nachdem klar wurde, dass die Begründungen für den Krieg fragwürdig waren. Dieses Ereignis hinterließ tiefe Spuren in den transatlantischen Beziehungen.
Die Ära Obama: Diplomatie und unterschwellige Spannungen
Unter Barack Obama kehrte zwar ein diplomatischerer Ton in die transatlantischen Beziehungen ein, doch die USA zeigten weiterhin eine Tendenz zum Rückzug und zur Fokussierung auf eigene Interessen. Die Amerikaner stellten die finanzielle Belastung durch die NATO infrage. Trump brachte diese Bedenken später mit seiner üblichen Brutalität zum Ausdruck, während Obama diplomatischer vorging.
„America First“: Trumps erste Amtszeit
Mit dem Slogan „America First“ verfolgte Trump eine Politik, die primär auf die Interessen der USA ausgerichtet war. Beispiele hierfür sind die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und der einseitige Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen sowie dem Pariser Klimaabkommen. Diese Entscheidungen wurden getroffen, um das eigene Wählerklientel zufriedenzustellen, ohne Rücksicht auf internationale Reaktionen. Während seiner ersten Amtszeit stieß Trump jedoch auf Widerstand innerhalb der eigenen Administration, was seine Handlungsspielräume einschränkte.
Wirtschaftliche Spannungen und protektionistische Maßnahmen
Auch auf wirtschaftlicher Ebene zeigte sich Trumps aggressive Haltung, etwa durch die Einführung von Zöllen auf europäische Stahl- und Aluminiumimporte. Diese protektionistischen Maßnahmen sollten die heimische Industrie schützen, wurden jedoch von Ökonomen kritisch gesehen.
Die Biden-Administration: Ein kurzes Aufatmen
Die Wahl Joe Bidens 2020 wurde in Europa mit Erleichterung aufgenommen. Die USA traten wieder internationalen Abkommen bei und suchten den Schulterschluss mit ihren Verbündeten. Dennoch blieben gewisse Spannungen bestehen, etwa durch den unkoordinierten Abzug aus Afghanistan 2021, der die europäischen Partner überraschte und verärgerte.
Der Ukraine-Krieg: Ein erneutes Engagement der USA?
Der Krieg in der Ukraine führte zu einer erneuten Annäherung zwischen Europa und den USA, da beide Seiten die Ukraine unterstützten. Die USA, ursprünglich stärker auf Asien fokussiert, wandten sich wieder europäischen Sicherheitsfragen zu. Doch die jüngsten Alleingänge der USA in Verhandlungen mit Russland ohne europäische Beteiligung werfen Fragen auf.
Europas Reaktion: Zwischen Abhängigkeit und Eigenständigkeit
Die aktuellen Entwicklungen zwingen Europa, seine Verteidigungsstrategien zu überdenken. Die Aussicht, 3 bis 5 % des Budgets für militärische Ausgaben aufzuwenden, stellt viele Länder vor soziale und wirtschaftliche Herausforderungen. Dennoch wird klar, dass Europa seine Sicherheit nicht länger primär auf die USA stützen kann.
J.D. Vances Entscheidung, den deutschen Kanzler zu meiden, während er sich mit Vertretern der AfD traf, deutet auf eine wachsende ideologische Kluft hin. Ob die USA tatsächlich zu Europas Gegnern werden, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Die alten Gewissheiten der transatlantischen Partnerschaft bröckeln.
Von Andreas Brucker
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