Die politische Landschaft der Türkei hat am 23. März 2025 einen dramatischen Einschnitt erlebt. Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul und eine der wichtigsten Oppositionsfiguren gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan, wurde offiziell seines Amtes enthoben – und noch am selben Tag inhaftiert. Der Vorwurf: Korruption. Doch der Fall geht weit über ein klassisches Ermittlungsverfahren hinaus.
„Eine Hinrichtung ohne Prozess“
Schon am Nachmittag vor seiner Verlegung in die Marmara-Haftanstalt, auch bekannt als Silivri-Gefängnis, meldete sich Imamoglu über seine Anwälte zu Wort. Seine Worte sind unmissverständlich: „Der laufende Justizprozess ist alles andere als fair. Es handelt sich um eine Hinrichtung ohne Prozess.“ Mit dieser klaren Anklage gegen das Justizsystem des Landes setzt Imamoglu ein deutliches Zeichen – und stößt ein politisches Erdbeben los, das nicht nur Istanbul, sondern das ganze Land erschüttert.
Bereits am Mittwoch war Imamoglu festgenommen worden. Gemeinsam mit mehreren Mitbeschuldigten wurde er wenige Tage später in die Haftanstalt gebracht.
Der eigentliche Vorwurf: Ein politisches Bündnis
Offiziell lautet die Anklage „Korruption“. Doch im Hintergrund steht etwas ganz anderes: ein Wahlbündnis zwischen Imamoglus Partei CHP und einer pro-kurdischen Partei. Diese wiederum wird von der Regierung verdächtigt, Verbindungen zur PKK zu pflegen – einer Organisation, die in der Türkei als Terrorgruppe eingestuft ist.
Die Konsequenzen sind drastisch: Neben Imamoglu wurden rund 90 weitere Personen festgenommen, darunter auch zwei Bezirksbürgermeister von Istanbul. Auch sie stehen unter Verdacht, entweder in Korruption oder in „terroristische Aktivitäten“ verwickelt zu sein.
Der Funke entzündet ein Feuer
Was folgte, ließ Erinnerungen an die Proteste von Gezi im Jahr 2013 aufleben. Damals begann eine landesweite Protestwelle auf dem Taksim-Platz in Istanbul – jetzt scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Seit Freitagabend gehen zehntausende Menschen auf die Straße. In Istanbul, Ankara, Izmir – landesweit wächst der Unmut.
Und das nicht nur unter Oppositionellen.
Auch gemäßigte Stimmen, die Imamoglu nicht unbedingt politisch nahestehen, äußern sich zunehmend besorgt über das Vorgehen der Regierung. Die Sorge ist greifbar: Ist das noch Justiz oder schon politische Säuberung?
Imamoglu als Symbolfigur
Ekrem Imamoglu war nicht einfach nur Bürgermeister. Er war – und ist – das Gesicht einer anderen Türkei. Einer Türkei, die sich nach Veränderung sehnt, nach mehr Demokratie, mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr europäischer Orientierung. Mit seinem Wahlsieg 2019 in Istanbul hatte er Erdogan eine empfindliche Niederlage zugefügt. Ein Signal, dass selbst große Machtapparate wanken können.
Dass gerade er nun inhaftiert wurde, ist ein klarer Warnschuss – nicht nur an seine Unterstützer, sondern an alle, die sich gegen das aktuelle System stellen.
Die Zeichen stehen auf Sturm
Die kommenden Tage werden entscheidend sein. Die Proteste könnten weiter anwachsen, der Druck auf Erdogan steigen. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass weitere Verhaftungen folgen – möglicherweise mit dem Ziel, die Opposition im Vorfeld der Wahlen zu schwächen.
Doch die Bilder zehntausender Demonstranten auf den Straßen zeigen auch: Die Gesellschaft lässt sich nicht mehr so leicht einschüchtern wie noch vor einigen Jahren. Das politische Klima hat sich verändert. Viele Menschen haben das Gefühl, dass nun eine Grenze überschritten wurde.
Und das lässt eine Frage im Raum stehen – eine, die schwer wiegt: Ist das der Anfang vom Ende einer Ära?
Von C. Hatty
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