Die Spuren des mysteriösen Anschlags auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 führen nach Italien. Dort ist jetzt ein Ukrainer festgenommen worden, den deutsche Ermittler als einen möglichen Koordinator des Anschlags betrachten.
Der Mann, Serhii K., wurde in der Provinz Rimini gefasst. Laut dem deutschen Generalbundesanwalt soll er zu jener Gruppe gehört haben, die die Sprengsätze an den Pipelines nahe der dänischen Insel Bornholm platzierte. Ein gravierender Verdacht – schließlich gelten die Explosionen als einer der spektakulärsten und rätselhaftesten Angriffe auf Europas Energieinfrastruktur seit Jahrzehnten.
Sprengstoff auf Segelyacht
Nach bisherigen Erkenntnissen charterte das Kommando eine Segelyacht in Rostock. Die Buchung lief über eine deutsche Firma, hinterlegt und bezahlt mit gefälschten Papieren. Von dort aus brach die Gruppe Richtung Ostsee auf, das Boot beladen mit Sprengstoff. Am 26. September 2022 detonierten die Ladungen – vier gewaltige Unterwasserexplosionen rissen die Stahlröhren auf und verursachten massive Gasaustritte.
Der Schaden war nicht nur technischer, sondern auch geopolitischer Natur. Denn Nord Stream verband Russland direkt mit Deutschland, war Symbol und Werkzeug jahrzehntelanger Energiepolitik – und seit Beginn des Ukrainekriegs politisch hochumstritten.
Ein Anschlag mit politischer Sprengkraft
Wer die Täter waren und wer den Auftrag gab, blieb lange unklar. Verdächtigt wurden mal Russland, mal westliche Dienste, mal unabhängige Gruppen. Jede Theorie hatte Lücken, jede Erklärung politische Brisanz.
Nun rückt die Ukraine in den Fokus. Schon früher hatten Ermittler Indizien gesammelt: Mobiltelefone des mutmaßlichen Teams funkte zeitweise aus der Ukraine. Auch die Charterkosten für das Segelboot soll ein ukrainischer Geschäftsmann übernommen haben – Roustem Abibulayev, Besitzer mehrerer Firmen.
Doch eine Festnahme wie die von Serhii K. gibt den Ermittlungen eine neue Dimension. Die deutsche Justiz bezeichnet ihn „voraussichtlich als einen der Koordinatoren“. Das klingt nach mehr als nur einem Helfer im Hintergrund.
Ermittlungen in Moskau, Kiew und Berlin
Die deutsche Justiz beansprucht die Zuständigkeit, weil die Pipelines auf deutschem Territorium endeten. Doch die Ermittlungen sind international verzahnt – Dänemark und Schweden untersuchten den Fall ebenso. Nun kommt Italien ins Spiel, das die Verhaftung vollzog.
Man muss sich vor Augen führen: Die Explosionen legten eine Infrastruktur lahm, die über Jahrzehnte als Garant für günstiges Gas galt. Auch wenn die Pipelines zu dem Zeitpunkt schon stillstanden, war die Botschaft klar: Europas Energieadern sind verwundbar.
Offene Fragen – und eine rhetorische
Hat die Festnahme von Rimini nun das Potenzial, das Rätsel zu lösen? Oder öffnet sie nur ein weiteres Kapitel voller geopolitischer Spannungen und gegenseitiger Vorwürfe?
Die Ermittler hoffen, dass Serhii K. Antworten liefert. Über seine Rolle, über seine Auftraggeber, über das Zusammenspiel zwischen militärischer Präzision und ziviler Tarnung.
Für die Öffentlichkeit bleibt der Fall ein Puzzle aus Lecks, Lügen und geopolitischem Schach. Dass ein Mann am Mittelmeer nun zum Schlüssel für Anschläge in der Ostsee werden könnte – die Ironie dieser Geschichte spricht für sich.
Autor: Andreas M. Brucker
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