Zum ersten Mal sucht eine amerikanische Wissenschaftlerin Schutz in Frankreich – nicht vor Krieg oder politischer Verfolgung, sondern vor Angriffen auf die Wissenschaft in den USA. Andrea, eine Expertin für Infektionskrankheiten, ist die erste Teilnehmerin des neuen Programms „Safe Place for Science“, mit dem die Universität Aix-Marseille bedrohte Forscher aus den Vereinigten Staaten aufnimmt.
Wissenschaft unter Druck
Seit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus stehen viele Forscher in den USA unter Druck, insbesondere in den Bereichen Klimawandel, Sozialwissenschaften und Gender Studies. Fördermittel werden gestrichen, bestimmte Begriffe dürfen in Anträgen nicht mehr verwendet werden, und ein Klima der Angst breitet sich aus.
Andrea, die zuletzt in Afrika zur Gesundheit von Müttern und Kindern forschte, beschreibt die Lage in ihrem Heimatland als alarmierend: „Die Politik von Donald Trump hat eine totale Unsicherheit geschaffen. Wir erhalten noch immer Fördergelder, aber niemand weiß, ob sie weiterlaufen.“
Verbotene Begriffe – Wissenschaft mit Maulkorb
Besonders problematisch ist für sie die zunehmende Selbstzensur. „Schon während Trumps erster Amtszeit konnten wir den Begriff ‘Klimawandel’ nicht mehr in Anträgen verwenden. Jetzt ist es noch schlimmer“, erzählt sie. „Wie soll man über Frauen forschen, wenn man das Wort ‘Frau’ nicht mehr benutzen darf?“
Dass sie so schnell in Europa aufgenommen wurde, überrascht Andrea selbst. Ihr Stipendium an der Universität Aix-Marseille ist auf drei Jahre ausgelegt – Zeit, in der sie ihre Forschung fortsetzen kann, ohne politische Eingriffe fürchten zu müssen.
Wissenschaftler auf der Flucht
Andrea ist nicht die Einzige, die um ihre akademische Zukunft bangt. Eine weitere Forscherin, die anonym bleiben möchte, arbeitet zu Migrationsfragen und wird bald in die USA zurückkehren müssen. „Ich werde so lange weitermachen, wie ich kann. Bis es nicht mehr geht“, sagt sie resigniert.
Auch Enrico Donaggio, Professor an der Universität Aix-Marseille, ist fassungslos. Seit Jahren betreut er internationale Wissenschaftler im Exil – bisher kamen sie aus der Ukraine, dem Jemen, Afghanistan oder Palästina. Dass nun auch US-Forscher Zuflucht suchen, ist für ihn ein Schock. „Ich habe die USA immer als Land der intellektuellen Freiheit gesehen. Das ist wirklich eine völlig neue Situation.“
Aix-Marseille reagiert: Millionen für bedrohte Forscher
Die Nachfrage steigt rapide: In wenigen Tagen erreichten die Universität bereits rund 30 Anfragen von US-Forschern. Aix-Marseille reagiert und stellt 10 bis 15 Millionen Euro bereit, um bis zu 15 Wissenschaftler aufzunehmen. Pro Forscher sind 600.000 bis 800.000 Euro für drei Jahre eingeplant.
Was sagt es über die Vereinigten Staaten aus, wenn Wissenschaftler nun ausgerechnet in Europa Schutz suchen? Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich dieser Trend fortsetzt – oder ob die USA bald wieder ein sicherer Ort für die freie Forschung werden.
Von C. Hatty
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