Tag & Nacht


Frankreich denkt das Verhältnis zwischen Staat, Jugend und Armee neu. Ab Sommer 2026 sollen junge Erwachsene erstmals am neu geschaffenen „Service national militaire volontaire“ teilnehmen können – einem freiwilligen, zehnmonatigen Militärdienst, beschränkt auf das französische Staatsgebiet. Kein Zwang, kein Marschbefehl. Aber ein klares politisches Signal.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Schritt als Antwort auf eine zunehmend unsichere Weltlage präsentiert. Die Rückkehr zu einer Form des Wehrdienstes, so heißt es offiziell, sei keine Nostalgie für Uniform und Vaterlandsliebe. Sondern ein pragmatischer Versuch, Staat und Gesellschaft resilienter aufzustellen – in einer Zeit, in der das Wort „Krieg“ wieder in der öffentlichen Debatte angekommen ist.

3.000 junge Menschen sollen im ersten Jahr teilnehmen, bis 2035 soll die Zahl schrittweise auf 50.000 steigen. Es ist ein langsames, teures und bewusst moderates Anrollen. Aber mit spürbarem Symbolwert.

Zwischen Freiwilligkeit und Vorbereitung auf den Ernstfall

Der neue Militärdienst ist freiwillig – doch dieser Begriff verdient eine nähere Betrachtung. Der Dienst wird als Chance beworben: für persönliche Entwicklung, berufliche Orientierung, gesellschaftliches Engagement. Aber im Hintergrund schwingt eine zweite Lesart mit: eine Reserve aufbauen, die im Ernstfall schnell aktiviert werden kann. Kein Tabubruch, aber ein Paradigmenwechsel.

Denn seit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 1997 galt in Frankreich das Modell der Berufsarmee. Der neue Dienst öffnet nun ein Fenster zur Rückbesinnung – nicht auf das starre System der Vergangenheit, sondern auf eine flexible Form des Dienstes, die sich zwischen Zivilgesellschaft und militärischem Ernst bewegt.

Macron sprach in seiner Ankündigung von einer „jugendlichen Bereitschaft, sich für das Land einzusetzen“. Eine Rhetorik, die erinnert an republikanische Tugenden – aber auch an das Bedürfnis nach Stabilität in einer Welt, in der alte Gewissheiten bröckeln.

Ein Hybrid-Modell mit Blick nach Norden

Was Frankreich nun testet, ist ein „hybrides Armeemodell“ – mit einer Mischung aus Berufssoldaten, Reservisten und freiwillig Dienenden. In nordeuropäischen Ländern wie Finnland, Norwegen oder auch in Deutschland wird mit vergleichbaren Konzepten experimentiert: freiwilliger Wehrdienst, modulare Grundausbildung, flexible Einsatzmöglichkeiten. Frankreich reiht sich nun in diese Bewegung ein – mit eigenen Akzenten.

Der Dienst wird ausschließlich in Frankreich geleistet, auch in den Überseegebieten. Inhaltlich soll er mehr bieten als bloße Disziplin: Erste-Hilfe-Kurse, logistische Schulungen, Projektarbeit. Die junge Generation soll nicht „geformt“, sondern gewonnen werden – durch Perspektive statt Druck.

Einige Regierungskreise sprechen intern von einem möglichen „gap year utile“, einem nützlichen Zwischenjahr. Doch dieses Versprechen muss sich erst im Alltag bewähren. Wer nimmt teil? Wer bleibt außen vor? Und welche Wege stehen den Freiwilligen danach offen?

Kosten, Kritik – und ein schmaler Grat

Die Einführung des neuen Dienstes ist teuer. Mehrere Milliarden Euro werden veranschlagt, die Mittel stammen aus dem Etat der aktuellen militärischen Fünfjahresplanung. In Zeiten wachsender Haushaltsengpässe ist das ein klares politisches Statement: Sicherheit geht vor.

Gleichzeitig wächst die Kritik. Manche Stimmen monieren, dass ein Freiwilligendienst mit 3.000 Teilnehmern pro Jahr keine echte Reserve darstelle – und im Ernstfall zu wenig bewirken könne. Andere fürchten eine schleichende Militarisierung der Jugend. Schon der „Service national universel“ (SNU), ein früheres Projekt zur staatsbürgerlichen Erziehung, war trotz großer Ankündigungen weitgehend gescheitert – an fehlendem Zuspruch, begrenzter Wirkung und unklarer Zielsetzung.

Die Gefahr besteht, dass der SNMV nun denselben Weg geht – oder schlimmer noch: dass er als verdeckte Vorbereitung auf eine spätere, obligatorische Dienstpflicht dient.

Denn eines ist klar: Im Kleingedruckten des Projekts findet sich bereits ein Passus, der im Krisenfall eine rechtliche Erweiterung ermöglicht. Aus Freiwilligkeit könnte dann rasch Pflicht werden. Ein Gedanke, der bei vielen Unbehagen auslöst.

Vertrauen ist keine Vorschrift

Das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern, zwischen Regierung und Jugend ist sensibel. Es lässt sich nicht per Dekret definieren. Der Erfolg des SNMV wird davon abhängen, ob junge Menschen ihm freiwillig Sinn beimessen – und ob das Versprechen auf Augenhöhe eingelöst wird.

Dazu braucht es Transparenz, ein kluges pädagogisches Konzept – und politische Zurückhaltung. Wenn der Dienst als Karriere-Boost oder als Gemeinschaftserlebnis verstanden wird, kann er wirken. Wird er jedoch als versteckter Zwang oder als nationale Pflicht etikettiert, droht er zu scheitern, noch bevor er begonnen hat.

Die Jugend ist nicht apolitisch. Aber sie ist wählerisch, wenn es um ihre Zeit und ihre Zukunft geht.

Eine kluge Idee – wenn sie klug umgesetzt wird

Frankreich betritt mit dem SNMV Neuland – mit Bedacht, aber auch mit Ambitionen. In einer Welt, die wieder über Verteidigung spricht, über Bündnistreue und nationale Souveränität, sucht das Land nach einem Weg, wie es seine Bürger neu einbinden kann, ohne sie zu verpflichten.

Das ist mehr als Symbolpolitik. Es ist ein ernsthafter Versuch, das Konzept von Bürgersinn und Wehrhaftigkeit neu zu denken. Doch wie bei jedem neuen Pfad liegt der Erfolg nicht im Gesetz – sondern im Vertrauen, das man gewinnt.

Denn Engagement lässt sich nicht anordnen. Es muss wachsen.

Autor: Andreas M. Brucker

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