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Am 9. Juni 2025 wird das 144-Seelen-Dorf Mormant-sur-Vernisson im französischen Département Loiret zur Bühne eines politisch aufgeladenen Spektakels: Die Führungsspitze des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen und Jordan Bardella, lädt zur „Fête de la victoire“ – einer Feier des Wahlsiegs bei den Europawahlen 2024. Es ist ein sorgfältig inszeniertes Ereignis, das über bloße Parteiselbstvergewisserung hinausgeht. Die Wahl des Ortes, die internationale Gästeliste und die politischen Botschaften deuten auf strategische Ambitionen hin, die weit über Frankreich hinausreichen.

Ein ländliches Symbol politischer Verankerung

Mormant-sur-Vernisson steht nicht zufällig im Zentrum der Feierlichkeiten. Mit einem Stimmenanteil von beinahe 90 % bei den Europawahlen ist die Gemeinde ein Paradebeispiel für den Erfolg des RN im ländlichen Raum. Diese Regionen, die sich von der politischen Elite in Paris häufig übergangen fühlen, bieten dem RN eine ideale Bühne zur Inszenierung seiner volksnahen Rhetorik. Der lokale RN-Abgeordnete Thomas Ménagé, ein enger Vertrauter Le Pens, betont die symbolische Kraft des Austragungsortes: „Hier manifestiert sich der patriotische Geist unserer Bewegung.“

Diese bewusste Rückbindung an ländliche Regionen ist Teil einer langfristigen Strategie, mit der der RN seine traditionelle urbane Schwäche ausgleichen will. Dabei geht es nicht nur um Wählerstimmen, sondern um kulturelle Deutungshoheit in einer Republik, die zunehmend zwischen Stadt und Land gespalten ist.

Europäische Netzwerke der Rechten

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Liste der internationalen Gäste: Viktor Orbán aus Ungarn, Matteo Salvini aus Italien, Santiago Abascal aus Spanien und Tom Van Grieken aus Belgien – sie alle folgen der Einladung von Bardella, der seit der Europawahl 2024 die Fraktion „Patriotes pour l’Europe“ im Europäischen Parlament anführt. Diese neue rechte Allianz tritt in Konkurrenz zur „Identität und Demokratie“-Fraktion und reflektiert die Bemühungen, das europäische Rechtsaußen-Lager zu konsolidieren.

Dabei geht es weniger um eine einheitliche Ideologie als um gemeinsame Narrative: Anti-Migration, Euroskepsis, Verteidigung nationaler Souveränität. Der Austausch in Mormant dient dazu, diese Koordinaten zu bekräftigen und dem RN den Anschein einer paneuropäischen Führungsrolle zu verleihen. Die Europäische Rechte agiert nicht mehr isoliert, sondern zunehmend koordiniert – ein Umstand, der auch die politische Architektur der EU unter Druck setzt.

Interne Spannungen trotz öffentlicher Geschlossenheit

Das Event in Mormant ist zugleich Ausdruck interner Unsicherheiten. Marine Le Pen, unangefochtene Führungsfigur des RN über zwei Jahrzehnte, wurde im März 2025 von einem Pariser Gericht wegen Veruntreuung von EU-Geldern zu einer fünfjährigen politischen Sperre verurteilt. Die Berufung läuft, doch die Entscheidung hat die Parteistrategie verändert: Jordan Bardella rückt ins Zentrum. Der 29-Jährige wird in Medien und parteiintern zunehmend als Nachfolger aufgebaut – moderner, wirtschaftsaffiner und weniger polarisierend als Le Pen.

Diese Rollenverschiebung geht nicht reibungslos vonstatten. Le Pen betont weiterhin öffentlich ihre Ambitionen für die Präsidentschaftswahl 2027, während Bardella versucht, sich als Brückenfigur zwischen dem traditionellen rechten Milieu und jüngeren, urbaneren Wählerschichten zu etablieren. Der heutige Tag soll die Geschlossenheit demonstrieren – doch unter der Oberfläche bleibt die Zukunftsfrage des RN offen.

Polarisierung und gesellschaftliche Gegenreaktion

Parallel zur Veranstaltung im Loiret formieren sich in Montargis Gegenproteste. Gewerkschaften, linke Parteien und Bürgerrechtsorganisationen warnen vor der Normalisierung nationalistischer Diskurse. Die Demonstrationen und Kundgebungen sind nicht nur symbolischer Widerspruch, sondern Ausdruck einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung. Während der RN seine Hochburgen in ländlichen und periurbanen Räumen konsolidiert, gelingt es linken Kräften bislang kaum, eine kohärente Gegenstrategie zu formulieren.

Die Proteste verweisen zudem auf einen europäischen Trend: Die Rechten profitieren von struktureller Unzufriedenheit, wirtschaftlicher Prekarität und einem diffusen Sicherheitsbedürfnis. Die Linke hingegen ringt vielerorts mit internen Zerwürfnissen, Milieugrenzen und ideologischer Orientierung.

Ein politisches Labor der Zukunft

Die „Fête de la victoire“ markiert mehr als ein parteiinternes Jubiläum. Sie ist ein Experimentierfeld für Symbolpolitik, internationale Vernetzung und strategische Weichenstellungen. Mit Mormant als Kulisse sendet der RN ein doppeltes Signal: nationale Verankerung und europäische Reichweite. Der Auftritt von Bardella an der Seite internationaler Verbündeter zeigt, wie die Rechte ihre Kommunikationsstrategien professionalisiert hat – mit sozialen Medien, jungen Gesichtern und einem gezielten Kulturkampf um Begriffe wie Souveränität, Identität und Volk.

Ob diese Strategie von Dauer ist, hängt nicht zuletzt von der Fähigkeit ab, innerparteiliche Spannungen zu managen und gleichzeitig Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte zu gewinnen. Der RN bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat – zwischen radikaler Opposition und staatstragender Verantwortung.

Autor: P. Tiko

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