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Mit einem dringlichen diplomatischen Vorstoß reagieren die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands auf die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen. Am Freitag wollen die drei Partner des sogenannten E3-Formats in einer außerordentlichen Konsultation über Sofortmaßnahmen beraten. Der britische Premierminister Keir Starmer kündigte das Treffen am Donnerstagabend in einer scharf formulierten Erklärung an – und wählte dabei Worte, wie man sie aus London in Richtung Jerusalem bislang kaum gehört hatte.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen sei „indefensibel“, erklärte Starmer. Hunger, Leid und die anhaltenden Bombardierungen hätten „ein neues Ausmaß erreicht“. Der britische Regierungschef forderte „dringende Maßnahmen“, um „die Massaker zu beenden“ und der palästinensischen Zivilbevölkerung Zugang zu lebensnotwendiger Hilfe zu verschaffen. Auch die Forderung nach einem Kurswechsel Israels findet sich explizit in der Erklärung: Man sei sich mit Paris und Berlin einig über „die dringende Notwendigkeit“, dass Israel die Blockade humanitärer Hilfslieferungen sofort beende.

Politisches Umdenken in London

Die Äußerungen Starmers markieren eine bemerkenswerte Wendung in der britischen Nahostpolitik. Während die konservative Regierung unter Rishi Sunak noch auf weitgehende diplomatische Rückendeckung Israels gesetzt hatte, formuliert die neue Labour-geführte Regierung deutlichere Kritik an der Regierung Netanjahu. Starmer betont, dass ein Waffenstillstand nicht nur humanitär geboten sei, sondern auch Voraussetzung für eine „Zweistaatenlösung“, die den Palästinensern ein „unveräußerliches Recht auf einen eigenen Staat“ garantiere.

Die Positionierung entspricht einer wachsenden Zahl westlicher Stimmen, die in der Eskalation in Gaza nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine strategische Sackgasse erkennen. Auch in Frankreich und Deutschland mehren sich die Forderungen nach einem belastbaren Waffenstillstand und struktureller Hilfe für den Wiederaufbau. Dennoch ist die Dreier-Koordinierung in dieser Klarheit ein Novum – und möglicherweise ein Hinweis auf einen koordinierten politischen Kurswechsel Europas.

Die E3 als außenpolitische Plattform

Die sogenannte E3 – ursprünglich das außenpolitische Format Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens im Kontext des Iran-Deals – etabliert sich zunehmend als Ad-hoc-Gremium für internationale Krisenreaktion. Auch im Ukraine-Krieg und bei der Reaktion auf geopolitische Krisen im Nahen Osten fanden Konsultationen im E3-Rahmen statt. Die gegenwärtige Initiative ist ein Zeichen dafür, dass sich die drei größten europäischen NATO-Mitglieder trotz des Brexits außenpolitisch weiterhin eng koordinieren.

Hinter der Initiative steht nicht nur humanitäres Kalkül, sondern auch sicherheitspolitische Sorge: Die Eskalation in Gaza, so befürchten Analysten in europäischen Hauptstädten, könne die gesamte Region destabilisieren, Spannungen mit dem Libanon und dem Iran weiter anheizen und islamistische Radikalisierung auch in Europa fördern. Für die Regierungen in Paris, Berlin und London ist der Krieg längst nicht mehr eine entfernte regionale Auseinandersetzung – er berührt europäische Interessen direkt.

Internationale Reaktionen und diplomatische Sackgassen

Der Appell Starmers fällt in eine Phase wachsender Frustration über den politischen Stillstand. Während die USA weiterhin auf die Selbstverteidigungsrechte Israels pochen, wächst zugleich auch in Washington der Druck auf Premierminister Netanjahu, das militärische Vorgehen zu mäßigen. Die UN warnt seit Wochen vor einer drohenden Hungersnot in Gaza. Hilfsorganisationen berichten von dramatischen Versorgungsengpässen, mangelndem Zugang für Konvois und einer zunehmend unkontrollierbaren Lage.

Die israelische Regierung wiederum betont, dass die Hamas weiterhin Raketenangriffe auf Israel verübe und sich hinter zivilen Schutzschilden verschanze. Der militärische Kurs solle verhindern, dass sich der 7. Oktober 2023 – der Tag des Hamas-Großangriffs auf israelisches Territorium – wiederhole. Doch auch innerhalb Israels wächst der innenpolitische Druck, angesichts zunehmender internationaler Isolation.

Ob der Appell der E3 über symbolische Wirkung hinausgeht, bleibt vorerst offen. Entscheidend dürfte sein, ob daraus konkrete Initiativen bei der UN, in regionalen Vermittlungsforen oder im Rahmen europäischer Hilfe hervorgehen. Klar ist: Die Zeit für politische Ambiguität läuft ab – nicht nur für Israel, sondern auch für Europas Nahostpolitik.

Autor: P. Tiko

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