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Die Ankündigung kam überraschend: Die Hamas hat eine neue Waffenruhe-Vereinbarung akzeptiert, die in dem seit fast zwei Jahren andauernden Gaza-Krieg den Weg für eine längere Feuerpause ebnen könnte. Vermittelt durch Ägypten und Katar, enthält der Vorschlag eine 60-tägige Kampfpause, kombiniert mit einem schrittweisen Geiselaustausch und humanitären Erleichterungen. Doch während die palästinensische Seite Zustimmung signalisiert, bleibt Israel bislang offiziell stumm. Die Frage, ob dies der Beginn eines nachhaltigen Waffenstillstands ist, hängt nun entscheidend vom politischen Willen der israelischen Regierung ab – und von ihrer Fähigkeit, innenpolitische Spannungen zu überwinden.

Das Angebot auf dem Tisch

Die von ägyptischen und katarischen Unterhändlern präsentierte Vereinbarung enthält mehrere Komponenten: eine sofortige zweimonatige Waffenruhe, der teilweise Austausch israelischer Geiseln – lebender wie getöteter – gegen palästinensische Häftlinge, sowie einen schrittweisen Rückzug israelischer Bodentruppen aus Teilen des Gazastreifens. Begleitend sollen Hilfslieferungen wieder ausgeweitet und humanitäre Korridore geöffnet werden.

Die Hamas-Führung ließ über ihre politischen Vertreter verkünden, man habe dem Vorschlag vollständig zugestimmt. Begleitet wurde dies von religiös aufgeladenen Botschaften, die dem militärischen Widerstand einen höheren Sinn verleihen sollen – ein rhetorisches Muster, das die Hamas seit Beginn des Konflikts kultiviert.

Israel unter Druck

Die Reaktion Israels auf die Ankündigung blieb zunächst aus. Premierminister Benjamin Netanjahu hatte sich bereits in den Tagen zuvor skeptisch gezeigt: Jede Vereinbarung müsse die vollständige Freilassung aller Geiseln unter israelischen Bedingungen garantieren, ließ er erklären. Teilabkommen, wie sie in der aktuellen Initiative vorgesehen sind, lehnt er prinzipiell ab – zu groß ist aus seiner Sicht die Gefahr, dass die Hamas gestärkt aus einem Deal hervorgehen könnte.

Doch Netanjahu steht unter wachsendem innenpolitischem Druck. Große Teile der israelischen Öffentlichkeit – insbesondere die Familien der noch verbliebenen Geiseln – fordern vehement eine Verhandlungslösung. Gleichzeitig wächst die Kritik an der anhaltenden militärischen Eskalation, deren strategische Zielsetzung zunehmend infrage gestellt wird. Rechte Koalitionspartner hingegen pochen auf eine kompromisslose Linie: Jeder Schritt in Richtung Waffenruhe sei ein Verrat an den Gefallenen und würde die Hamas politisch legitimieren.

Die Logik der Gewaltspirale

Seit Beginn der israelischen Bodenoffensive hat sich die Lage im Gazastreifen dramatisch zugespitzt. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, weite Teile der Infrastruktur sind zerstört, die humanitäre Versorgung ist praktisch zusammengebrochen. Der militärische Fokus Israels richtet sich gegenwärtig auf die letzten verbliebenen Hamas-Stellungen in Gaza-Stadt – ein Kampf, der trotz internationaler Warnungen mit unverminderter Härte geführt wird.

Gleichzeitig bleibt unklar, ob die militärische Strategie langfristig das erklärte Ziel – die vollständige Zerschlagung der Hamas – erreichen kann. Vielmehr droht ein Szenario, in dem die militärische Übermacht Israels zwar taktische Geländegewinne bringt, aber keine strategische Lösung für das politische Vakuum nach einem Rückzug anbietet.

Diplomatie zwischen Hoffnung und Zermürbung

Die jüngste Initiative reiht sich ein in eine lange Serie diplomatischer Vorstöße, die seit Beginn des Krieges ins Leere liefen. Ägypten und Katar fungieren seit Monaten als zentrale Vermittler, unterstützt von US-amerikanischen Sondergesandten. Die strukturellen Hindernisse sind jedoch beträchtlich: Beide Konfliktparteien betrachten zentrale Forderungen – die Freilassung aller Geiseln einerseits, die Garantie einer Waffenruhe und Aufhebung der Blockade andererseits – als nicht verhandelbar. Diese Gegensätzlichkeit lähmt den diplomatischen Prozess.

Hinzu kommt die symbolische Bedeutung der Geiselfrage für beide Seiten. In Teilen Israels gilt sie als nationales Trauma, das nach einer kompromisslosen Lösung verlangt. Auf Seiten der Hamas wiederum stärkt jeder Austausch ihre Position im innerpalästinensischen Machtgefüge, nicht zuletzt gegenüber der politisch marginalisierten Autonomiebehörde im Westjordanland.

Die aktuelle Entwicklung zeigt dennoch, dass das diplomatische Fenster nicht geschlossen ist. Die Annahme des Vorschlags durch die Hamas signalisiert Bereitschaft zur taktischen Deeskalation – sei es aus militärischer Schwäche, politischem Kalkül oder internationalem Druck. Entscheidend wird nun sein, ob Israel bereit ist, die politischen Kosten einer Verhandlungslösung in Kauf zu nehmen.

Die kommenden Tage könnten darüber entscheiden, ob sich ein realer Waffenstillstand abzeichnet – oder ob der Krieg weiter in die zermürbende Logik gegenseitiger Eskalation zurückfällt.

Autor: Andreas M. Brucker

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