Jamaika steht still. Doch nicht in Ruhe – sondern in Anspannung. Denn was da am Horizont heranrollt, ist kein gewöhnlicher Tropensturm. Melissa, ein Hurrikan der höchsten Kategorie 5, treibt mit Winden bis zu 280 Stundenkilometern auf die Karibikinsel zu. Ein Sturm, so heftig, dass er womöglich in die Geschichte eingehen wird.
Ein solches Naturereignis lässt niemanden kalt. Schon gar nicht ein Land, dessen Infrastruktur nicht für solche Extremsituationen gemacht ist. Der Premierminister bringt es auf den Punkt: Kein Gebäude, keine Leitung, keine Straße ist wirklich für das ausgelegt, was jetzt droht.
Melissa bewegt sich langsam – und genau das macht den Sturm so gefährlich. Denn je länger ein Hurrikan über einer Region verweilt, desto zerstörerischer wirkt er: nicht nur durch Wind, sondern vor allem durch Regen. Bis zu 1.000 Liter Niederschlag pro m2 innerhalb weniger Stunden wird erwartet. Das bedeutet: Schlammlawinen in den Bergen, Überschwemmungen in den Städten, komplette Isolierung ganzer Regionen.
Und dann ist da noch das Meer. Die Südküste Jamaikas rechnet mit bis zu vier Meter hohen Sturmfluten. Wer nahe am Wasser lebt, ist akut gefährdet. Evakuierungsaufrufe wurden ausgesprochen, Notunterkünfte vorbereitet – über 800 landesweit. Trotzdem: Nicht jeder folgt den Anweisungen. Manche unterschätzen die Gefahr, andere können oder wollen ihre Häuser nicht verlassen.
Die Flughäfen sind geschlossen, der Verkehr weitgehend lahmgelegt. Die Insel wirkt wie in Watte gepackt – aber es ist keine friedliche Stille, sondern das unheilvolle Warten vor dem Einschlag.
Was den Sturm zusätzlich brisant macht, ist Jamaikas Topografie. Die Berge im Landesinneren, die engen Flusstäler, die unregelmäßige Besiedlung – all das macht die Insel anfällig für sekundäre Katastrophen. Wenn Regen die Böden aufweicht, können ganze Hänge abrutschen. Wenn Bäche überlaufen, sind selbst höher gelegene Orte nicht mehr sicher.
Und dann ist da noch die wirtschaftliche Komponente.
Jamaika lebt nicht nur vom Tourismus – aber der macht einen großen Teil der Einnahmen aus. Hotels, Strände, Flugverbindungen – alles steht still. Die Schäden könnten enorm werden. Dazu kommen Landwirtschaft, Export und Versorgungssicherheit. Wer hilft beim Wiederaufbau? Wer zahlt die Rechnung, wenn ganze Landstriche zerstört sind?
Hurrikan Melissa zeigt darüber hinaus einmal mehr, wie eng unser globales Netz gespannt ist. Was auf einer Karibikinsel passiert, bleibt nicht dort. Preissteigerungen, Lieferkettenprobleme, Umsatzeinbrüche in der Reisebranche – auch in Europa könnten die Folgen spürbar werden.
Und vor allem stellt sich eine Frage, die weit über Jamaika hinausgeht: Wie widerstandsfähig sind kleine Inselstaaten in einer Welt, in der Wetterextreme zunehmen? Melissa ist nicht nur ein Sturm. Es ist ein Prüfstein für Katastrophenschutz, internationale Solidarität – und für die Zukunftsfähigkeit unserer globalen Gesellschaft.
Noch ist nicht klar, wie groß die Schäden sein werden. Aber eins ist sicher: Der Wiederaufbau wird dauern. Und ein Wiederherstellen des Vertrauens der Menschen in ihre Sicherheit, in die Handlungsfähigkeit ihres Staates – das wird wohl noch länger brauchen.
Am Ende bleibt mehr als nur das Bild einer verwüsteten Insel. Es bleibt die Erinnerung an einen Moment, in dem der Wind zum Richter wurde – und die Hoffnung, dass Jamaika standhält.
Autor: C.H.
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