Tag & Nacht




Ein Donnerschlag, dann Staub, dann Stille – und Geschichte. So erlebte Ibbenbüren am 6. April 2025 das Ende einer Ära. Das Steinkohlekraftwerk, einst Symbol für Energie und Fortschritt, liegt nun in Trümmern. Ein mächtiger Bau, das Herzstück der industriellen Vergangenheit der Region, fiel innerhalb weniger Minuten.

Doch was auf den ersten Blick nach Zerstörung aussieht, ist in Wahrheit ein Neuanfang.

Wie man ein Stück Vergangenheit zum Einsturz bringt

Punkt 11:00 Uhr zündeten die Experten ihre Ladung: 500 Kilogramm Sprengstoff – präzise platziert – rissen das Kesselhaus in die Knie. Dann hieß es kurz warten. Erst um 12:42 Uhr fiel der mächtige Kühlturm, allerdings ganz ohne Explosion. Ein acht Zentimeter dickes Stahlseil spannte sich um seine asbesthaltige Struktur und zog ihn behutsam zu Boden. Eine Methode, die nicht nur clever, sondern auch vorsorglich war – schließlich wollte man keine Schadstoffe in die Luft jagen.

Sicherheit ging vor

In einem Radius von mehreren hundert Metern galt: niemand rein, niemand raus. 130 Anwohner, darunter auch die Familie Grunden, mussten ihre Häuser verlassen. Eine Flüchtlingsunterkunft, in der 300 Menschen untergebracht sind, wurde ebenso geräumt wie die benachbarte Polizeistation. Rund 100 Einsatzkräfte – Feuerwehr, THW, Polizei – sorgten für einen kontrollierten Ablauf.

Solche Evakuierungen sind kein Alltag. Für die Beteiligten war es aufregend, ungewohnt – und nicht ganz ohne Emotionen.

Vom Kraftprotz zum Klimaziel

1985 begann der Betrieb – mit 838 Megawatt Leistung. Jahrzehntelang versorgte das Kohlekraftwerk Ibbenbüren die Region zuverlässig mit Strom. Der anthrazitfarbene Stoff aus der benachbarten Zeche lieferte die nötige Energie – ein eingespieltes System.

Doch 2021 war Schluss. Der Kohleausstieg machte auch vor Ibbenbüren nicht Halt. Und ehrlich? Das war längst überfällig.

Was kommt, ist nicht weniger mächtig

Wo einst Kohle verbrannt wurde, soll bald Wind wehen – zumindest indirekt. Der Netzbetreiber Amprion plant auf dem Gelände eine Konverterstation. Sie soll Strom aus Nordsee-Windparks in eine Form bringen, die sich effizient durchs Land schicken lässt.

Ziel: 2031 in Betrieb. Klingt weit weg? Vielleicht. Doch wer Energiepolitik kennt, weiß: Solche Großprojekte brauchen Zeit – und Visionen.

Zwischen Nostalgie und Neugier

Nicht wenige Menschen in Ibbenbüren spüren den Verlust. Das Kraftwerk war mehr als ein Arbeitsplatz. Es war ein vertrauter Anblick, ein Stück Identität, eine Landmarke. Wer morgens zur Arbeit fuhr, sah den Turm aus der Ferne. Wer nachts nach Hause kam, orientierte sich am Schimmer der Werkslichter.

Jetzt ist da nur noch eine Lücke.

Doch diese Lücke schafft Raum. Raum für Neues. Und viele in der Stadt wissen das – und sehen die Chancen.

Mehr als nur eine Sprengung

Die Transformation, die hier sichtbar wird, ist keine rein technische. Sie ist auch emotional, wirtschaftlich, sozial. Ibbenbüren zeigt, dass Wandel funktioniert – wenn er mutig, aber mit Rücksicht gestaltet wird.

Man könnte sagen: Der Staub, der jetzt über dem Gelände hängt, ist der Anfang von etwas. Der Anfang einer Zeit, in der Strom aus der Steckdose nicht länger mit Ruß, sondern mit Wind, Wasser und Sonne verbunden ist.

Und jetzt?

Was braucht es, damit andere Orte folgen? Eine klare Vision, ehrliche Kommunikation mit den Menschen – und vielleicht auch ein bisschen die Entschlossenheit, Dinge zu Ende zu bringen, selbst wenn sie einst groß und mächtig waren.

Denn manchmal ist der Weg in die Zukunft gepflastert mit den Steinen der Vergangenheit.

Von Andreas M. Brucker

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