Die israelischen Luftangriffe auf Hamas-Vertreter in Doha haben die fragile Architektur des Nahen Ostens erschüttert – und zugleich einen tiefen Riss zwischen Washington und Jerusalem sichtbar gemacht. US-Präsident Donald Trump zeigte sich ungewöhnlich deutlich verärgert über die Operation, die ohne amerikanische Zustimmung auf dem Territorium eines engen Verbündeten der USA stattfand.
Angriff auf symbolischem Boden
Am 9. September griff die israelische Luftwaffe ein Wohnviertel in Doha an, in dem sich führende Vertreter der Hamas aufhielten. Mindestens sechs Menschen kamen ums Leben, unter ihnen fünf Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation und ein katarischer Sicherheitsbeamter. Die politische Führung der Hamas überlebte den Schlag. Es war der erste israelische Angriff auf katarischem Boden – ein Tabubruch, da das Emirat seit Jahren als diplomatischer Vermittler zwischen Israel, Hamas und den Vereinigten Staaten fungiert.
Die Operation erfolgte, während in Doha Gespräche über einen möglichen Waffenstillstand im Gazastreifen liefen. Dass Israel diesen Moment für eine gezielte Attacke wählte, hat nicht nur die laufenden Verhandlungen torpediert, sondern auch Katars Rolle als Schlüsseldiplomatie unterminiert.
Trump „sehr unzufrieden“
Die Reaktion aus Washington folgte prompt. Präsident Trump betonte, er sei „sehr unzufrieden“ mit der Aktion und habe erst im Moment der Durchführung davon erfahren. Das Pentagon verfolgte nach eigenen Angaben die Flugbewegungen israelischer Kampfjets, ohne vorab informiert worden zu sein. Für das Weiße Haus war die eigenmächtige Vorgehensweise Netanjahus ein Affront – zumal Katar die größte US-Luftwaffenbasis der Region beherbergt und seit Jahren eng mit Washington kooperiert.
Auf seinem Netzwerk Truth Social stellte Trump klar, die Entscheidung sei „nicht von mir, sondern von Netanjahu“ getroffen worden. Damit schob er die Verantwortung demonstrativ nach Jerusalem ab. Zwar bezeichnete er das Ziel, die Hamas zu schwächen, als „legitim“ und sprach von einer „Chance für Frieden“. Doch in der politischen Tonlage überwog das Unbehagen: Israel habe einmal mehr „im Alleingang“ gehandelt.
Israel verteidigt Unabhängigkeit
Jerusalem zeigte sich unbeeindruckt von der amerikanischen Kritik. Der israelische UN-Botschafter Danny Danon betonte, sein Land handle nicht immer nach den Interessen der Vereinigten Staaten: Man sei dankbar für die Unterstützung Washingtons, müsse aber in Fragen der Sicherheit eigenständig entscheiden. Die Bombardierung sei „kein Angriff auf Katar, sondern auf die Hamas“ gewesen – und daher gerechtfertigt.
Diese Haltung verdeutlicht den wachsenden Spalt zwischen Israels strategischer Autonomie und den Erwartungen seines wichtigsten Schutzpatrons. Bereits in der Vergangenheit kam es zu Spannungen, etwa bei früheren Offensiven in Gaza, doch selten war der Dissens so öffentlich sichtbar wie jetzt.
Katar als geopolitischer Brennpunkt
Für Katar ist der Angriff ein doppelter Schock: Einerseits wurde seine Souveränität verletzt, andererseits steht seine mühsam aufgebaute Rolle als Mittler infrage. Seit 2012 beherbergt Doha das politische Büro der Hamas – mit stillschweigender Billigung Washingtons. Das Emirat fungierte damit als Ventil, über das Kommunikationskanäle zwischen Islamisten, Israel und den USA offenblieben. Dieser Mechanismus ist nun beschädigt.
Die katarische Führung zeigte sich empört und forderte von Trump eine Garantie, dass ein solcher Vorfall sich nicht wiederholen werde. Der US-Präsident telefonierte umgehend mit Emir Tamim bin Hamad Al-Thani und sicherte zu, Washington werde künftig auf eine bessere Abstimmung drängen. Ob dies reicht, um Katars Vertrauen zu sichern, bleibt offen.
Folgen für die Diplomatie
Die unmittelbaren diplomatischen Kosten sind erheblich. Israels Schlag hat die ohnehin fragile Aussicht auf einen Waffenstillstand im Gazastreifen weiter geschwächt. Arabische Staaten wie Saudi-Arabien oder Ägypten reagierten alarmiert, die EU und die Vereinten Nationen äußerten deutliche Kritik. Russland sprach gar von einem „eklatanten Bruch des Völkerrechts“.
Für Trump bedeutet der Vorfall einen Balanceakt: Einerseits will er Israel nicht öffentlich vor den Kopf stoßen, zumal die amerikanische Innenpolitik traditionell stark auf die Unterstützung Jerusalems ausgerichtet ist. Andererseits muss er die Stabilität der Partnerschaft mit Katar sichern, das für die US-Präsenz am Golf unverzichtbar ist.
Am Ende bleibt ein Bild der Dissonanz: Israel verfolgt kompromisslos seine sicherheitspolitische Agenda, auch wenn dies Verbündete vor den Kopf stößt. Die Vereinigten Staaten sehen sich gezwungen, Schadensbegrenzung zu betreiben, um ihre Interessen im Golf nicht zu gefährden.
Autor: Andreas M. Brucker
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