Tag & Nacht


Die amerikanische Justiz hat eine klare Grenze gezogen – und dabei einen der markantesten Versuche der politischen Instrumentalisierung der Strafverfolgung seit Jahrzehnten gebremst. Mit der Annullierung der Anklagen gegen den ehemaligen FBI-Direktor James Comey und New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James hat ein Bundesgericht dem republikanischen Präsidenten Donald Trump einen juristischen Dämpfer versetzt – und ein politisches Warnsignal ausgesendet.

Die Entscheidung vom 24. November berührt zentrale Fragen des demokratischen Rechtsstaatsprinzips in den Vereinigten Staaten: Wie unabhängig ist die Justiz unter einer Exekutive, die sich offen der politischen Abrechnung verschreibt? Und wie belastbar bleiben rechtsstaatliche Strukturen, wenn ein Präsident versucht, seine Gegner mit juristischen Mitteln mundtot zu machen?


Justiz auf Zuruf

Der Fall selbst wirkt auf den ersten Blick technokratisch. Die Anklagen gegen Comey und James, beide prominente Kritiker Trumps, wurden auf Betreiben einer von Trump eingesetzten Sonderermittlerin erhoben – Lindsey Halligan, einer in konservativen Medien bekannten Anwältin ohne nennenswerte Erfahrung in Strafverfahren. Das Bundesgericht erklärte ihre Ernennung nun für ungültig. Die Begründung war deutlich: Eine nachträgliche Legitimierung durch das Justizministerium sei kein rechtsstaatlich akzeptabler Weg zur Einsetzung von Staatsanwälten mit solch weitreichenden Befugnissen. Die Vorstellung, dass ein Justizminister „im Nachhinein“ eine beliebige Person – Anwalt oder nicht – mit Anklagekompetenz ausstatten könne, sei unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen.

Bemerkenswert ist dabei nicht nur die formale Dimension der Entscheidung. Vielmehr wird damit eine politische Grundsatzfrage berührt: Inwieweit darf der Präsident der Vereinigten Staaten seinen direkten Einfluss auf Ermittlungen gegen politische Gegner geltend machen – oder gar juristische Verfahren initiieren, um persönliche Fehden auszutragen?


Vergeltung als Regierungsprinzip

Trump hatte bereits während seiner Wahlkampagne 2024 kaum Zweifel daran gelassen, dass er gegen Personen vorgehen wolle, die er als Verräter oder Feinde ansieht. James Comey, der ihm 2016 mit der Wiederaufnahme der Clinton-Ermittlungen zunächst indirekt half, sich später jedoch gegen ihn stellte, gilt in Trumps Weltbild als personifizierter „Deep State“. Letitia James wiederum war federführend an der zivilrechtlichen Aufarbeitung der betrügerischen Geschäftspraktiken der Trump Organization beteiligt – mit verheerenden Folgen für Trumps finanzielles und juristisches Ansehen.

Dass beide nun inmitten eines politisch aufgeladenen Klimas zur Zielscheibe juristischer Verfahren wurden, wirkt weniger wie ein Zufall denn wie die Fortsetzung der Wahlkampfrhetorik mit den Mitteln des Staatsapparats. Dies erinnert an autoritäre Versuchungen, wie man sie sonst eher aus Ungarn, der Türkei oder Russland kennt – Staaten, in denen politische Loyalität zur Voraussetzung für juristische Schonung wird.


Der Rechtsstaat zeigt Widerstand

Dass ein Gericht nun die Reißleine gezogen hat, ist Ausdruck der Resilienz rechtsstaatlicher Mechanismen – zumindest im Moment. Doch der Fall lässt erkennen, wie schmal der Grat zwischen legalem Handlungsspielraum und Machtmissbrauch geworden ist. Die formale Möglichkeit, neue Anklagen zu erheben, bleibt dem Justizministerium weiterhin erhalten – theoretisch ließe sich also ein zweiter Anlauf unter formell korrekteren Bedingungen starten. Im Fall Comey jedoch dürfte dieser Weg aufgrund abgelaufener Verjährungsfristen bereits verschlossen sein.

Trumps Regierungssprecherin kündigte postwendend Berufung an – und ließ damit durchblicken, dass man nicht bereit ist, das letzte Wort der Justiz zu akzeptieren. Doch es steht weniger die einzelne Anklage im Vordergrund als vielmehr die Grundsatzfrage: Wird die Strafjustiz in einem zweiten Trump-Mandat zum politischen Schwert, mit dem abgerechnet wird?


Die Vereinigten Staaten erleben damit eine Phase, in der sich das Verhältnis zwischen Exekutive und Justiz neu justieren muss – nicht durch Verfassungsreformen, sondern durch gerichtliche Selbstbehauptung und institutionelle Robustheit. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in westlichen Demokratien kein Automatismus, sondern ein täglicher Balanceakt. In den USA steht diese Balance derzeit unter erheblichem Druck. Die Annullierung der Verfahren gegen Comey und James ist ein wichtiger juristischer Etappensieg – aber keine Entwarnung.

P. Tiko

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