Tag & Nacht




Die Sonne steht hoch am Himmel – doch sie wirkt seltsam fahl. Über viele Regionen Europas hat sich in den letzten Tagen ein milchiger Schleier gelegt. Kein Saharastaub, kein Dunst. Es ist Rauch. Rauch aus Kanada.

Was wie ein Science-Fiction-Szenario klingt, ist pure Realität. Die transatlantischen Luftströmungen haben gigantische Rauchwolken von den derzeit tobenden Waldbränden in Kanada bis nach Europa getragen. Und die Auswirkungen sind nicht nur am Himmel sichtbar – sie sind ein leiser Weckruf für die globale Klimapolitik.

Eine Saison der Extreme: Kanadas Feuer im Ausnahmezustand

Kanada steht buchstäblich in Flammen. Über 200 Brände, mehr als 100 davon vollkommen außer Kontrolle, fressen sich durch Wälder, Wiesen und alles, was ihnen im Weg steht. Besonders betroffen: Manitoba, Saskatchewan und Alberta. Über eine Million Hektar Land sind schon zerstört – das entspricht etwa der Fläche Jamaikas. Über 27.000 Menschen mussten evakuiert werden.

Und dann sind da noch die berüchtigten „Zombie-Feuer“. Klingt gruselig – ist es auch. Diese Brände glimmen im Winter unter einer dicken Schneedecke weiter und flackern mit dem ersten Frühlingserwachen erneut auf. Sie machen die Situation unberechenbar – und nahezu unlösbar.

Rauch auf Reisen: Wenn der Jetstream zum Transportmittel wird

Doch was hat Europa mit diesen Feuern zu tun? Eine ganze Menge, wie sich zeigt. Die westlichen Höhenwinde, besser bekannt als Jetstream, haben den Rauch über den Atlantik hinweg bis zu uns getragen. Und plötzlich sehen der Bodensee, Oberschwaben oder das Elsass und die Mittelmeerküste aus wie in einem surrealen Gemälde – Himmel trüb, Sonnenlicht gebrochen, die Farben eigenartig intensiv.

Vor allem in Süddeutschland, der Schweiz, Teilen Frankreichs, Österreichs und Norditaliens war der Effekt deutlich zu spüren. In Städten wie München, Bern oder Lyon schoss der Feinstaubgehalt zeitweise in bedenkliche Höhen. Lyon rangierte sogar zeitweilig auf Platz drei der weltweit schlechtesten Luftqualitäten.

Eine dicke Suppe: Die Wissenschaft hinter dem Schleier

Der Rauch besteht aus feinen Rußpartikeln – zu klein, um sie mit bloßem Auge zu erkennen, aber groß genug, um das Sonnenlicht zu streuen. Die Feuchtigkeit in der Atmosphäre kondensiert an diesen Partikeln. Das Ergebnis: Ein Schleier, der die Sichtweite mindert und die Farben des Himmels verändert. Sonnenuntergänge leuchten spektakulär rot-orange – schön, aber trügerisch.

Die meisten dieser Partikel bleiben in höheren Luftschichten. Doch einige sinken ab, was zu erhöhter Feinstaubbelastung führen kann. Für gesunde Menschen kein unmittelbares Risiko, aber für Asthmatiker, Kinder und ältere Menschen durchaus belastend.

Klimakrise als Brandbeschleuniger: Zufall oder Vorbote?

Das ist kein Zufall, sagen Experten. Der Klimawandel liefert den perfekten Nährboden für diese Brände: steigende Temperaturen, geringere Niederschläge, längere Dürreperioden. All das trocknet die Wälder aus und macht sie zu Zündholzlagern.

Seit Beginn der Saison haben die Brände in Kanada rund 56 Megatonnen Kohlenstoff freigesetzt – das ist fast ein Viertel der weltweiten Emissionen aus Waldbränden. Nur die Feuersaison 2023 war schlimmer. Und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern.

Was erwartet uns in den kommenden Tagen?

Laut Meteorologen bleibt der Rauch vorerst ein unwillkommener Gast auf dem europäischen Kontinent. Zwar ziehen die aktuellen Rauchwolken langsam ab, doch neue könnten jederzeit folgen – solange Kanada brennt.

Für uns heißt das: weiterhin trübe Aussichten am Himmel, möglicherweise erhöhte Feinstaubwerte in Ballungsräumen. Besonders sensible Personen sollten aktuelle Luftqualitätsberichte im Auge behalten und gegebenenfalls Aktivitäten im Freien einschränken.

Der Rauch als Mahnung: Was bleibt?

Der Rauch ist sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Krise – und erinnert uns schmerzlich daran, wie global unsere Umwelt geworden ist. Ein Feuer am anderen Ende der Welt verdüstert unseren Himmel. Was muss noch passieren, damit international endlich konsequent gehandelt wird?

Die Brände in Kanada sind keine lokale Katastrophe – sie sind ein globales Alarmsignal.

Von Andreas M. Brucker

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