Tag & Nacht

Nach dem Tod des Kremlfeindes Nummer eins fordern jetzt mehrere Länder eine internationale Untersuchung und werfen Moskau vor, hinter dem plötzlichen Tod von Alexej Nawalny zu stecken.

Insgesamt 43 Länder, darunter die USA, die Europäische Union und Großbritannien, haben am Montag, dem 4. März, einen gemeinsamen Aufruf für eine internationale Untersuchung des Todes des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny während seiner Inhaftierung in Russland veröffentlicht.

Die Unterzeichner des Aufrufs, die sich über den Tod des Kremlgegners „empört“ zeigen, sind der Ansicht, dass „die letztendliche Verantwortung bei Präsident Putin und den russischen Behörden liegt“, wie die EU-Botschafterin Lotte Knudsen im Namen der 43 Länder vor dem EU-Menschenrechtsrat sagte.

Alexej Navalny starb am 16. Februar in einer Strafkolonie in der russischen Arktis. Sein Tod löste im Westen eine Welle der Empörung aus. Moskau behauptet, der Oppositionspolitiker sei eines natürlichen Todes gestorben. „Russland muss eine unabhängige und transparente internationale Untersuchung der Umstände dieses plötzlichen Todes zulassen“, so die 43 Unterzeichnerländer. Ganz allgemein fordern sie Moskau auf, „ein sicheres Umfeld für die politische Opposition und kritische Stimmen zu schaffen“.

Romuald Sciora, Forscher bei IRIS und Spezialist für die Vereinten Nationen, internationale Beziehungen und die USA, meint, dass man von diesem Antrag nicht zu viel erwarten sollte, da sich ihm mehrere Hindernisse in den Weg stellen. „Russland ist ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats, also kann es gegen jede Entscheidung des Sicherheitsrats sein Veto einlegen. Auch wenn das Hochkommissariat für Menschenrechte vom Sicherheitsrat unabhängig ist, könnte die Untersuchung, wenn es starken russischen Druck gegen sie gibt, aus diplomatischen Gründen vertagt werden und irgendwann in Vergessenheit geraten.“

Ein weiteres Hindernis für den Erfolg einer solchen Untersuchung ist die umstrittene Persönlichkeit von Alexej Navalny. Seine Homophobie und seine Angriffe auf die LGBT-Gemeinschaft sind bekannt, er zeigte eine ausgeprägte Form von Antisemitismus, eine nicht ganz klare Haltung zum Krieg in der Ukraine und eine gewisse Tendenz zum Autoritarismus, wobei er außerdem sehr unklare Beziehungen zu nationalistischen Bewegungen unterhielt.

Schließlich kann auch die relativ geringe Anzahl von Ländern, die diese Untersuchung fordern, den Erfolg der Untersuchung erschweren. Es sind nur 43 von 193 UN-Mitgliedsstaaten, die eine solche Untersuchung fordern. Sicherlich ist es ein starkes Signal gegen Putin. Aber man muss sehen, dass er nur der Westen eine Untersuchung fordert.

Erst wenn eine Untersuchung zu dem formalen Schluss kommt, dass Putin den Mord an Nawalny in Auftrag gegeben hat, mit konkreten Beweisen, die die russische Version eines natürlichen Todes widerlegen, müsste sich der Internationale Gerichtshof mit dem Fall befassen und einen Prozess durchführen. Eine Verurteilung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) könnte für Putin lebenslange Haft bedeuten – könnte er denn jemals verhaftet werden.

Russland – wie auch die USA, China und Indien – hat das Römische Statut nicht unterzeichnet, den Gründungsvertrag des IStGH, der internationale Verbrechen definiert und Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht ahndet. So erklärte der Kreml zum Beispiel am Mittwoch, dass er die vom IStGH ausgestellten Haftbefehle gegen zwei hochrangige russische Offiziere, denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, „nicht anerkenne“.

Im Frühjahr 2023 hatte der IStGH einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten und die russische Kinderbeauftragte Maria Lvova-Belova wegen ihrer Rolle bei der Deportation von in der Ukraine lebenden Kindern nach Russland ausgestellt. Der Kreml sagte damals, er betrachte diese Entscheidung als „null und nichtig“.

Solange Putin an der Macht bleibt, hat ein Urteil des IStGH keinerlei Auswirkungen. Allerdings: Sollte es zu einer Verurteilung kommen und Putin in den kommenden Jahren die Macht verlöre, könnte sich alles ändern.

Für die anderen 150 UN-Mitgliedsstaaten, die diese Untersuchung nicht gefordert haben, ist es ein Vorgang, der wenig Bedeutung hat sogar eine Form von Neokolonialismus verkörpern könnte. Eine internationale und einstimmige Verurteilung von Wladimir Putin wegen des Todes von Alexej Navalny scheint also eher weiter Ferne zu liegen.


Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!