Tag & Nacht




Die Bilder aus dem südlichen Gazastreifen sind verstörend – und zugleich Ausdruck einer sich rapide verschlimmernden humanitären Krise. Innerhalb von nur drei Tagen sind laut Angaben eines örtlichen Krankenhausdirektors mindestens 21 Kinder infolge von Hunger und Mangelernährung gestorben. Die Vereinten Nationen warnen, dass über 100.000 Menschen in dem palästinensischen Küstengebiet an akuter Unterernährung leiden – Tendenz steigend. Besonders betroffen sind Kinder, Säuglinge und stillende Mütter.

Die französische Regierung fordert unterdessen freien Zugang für internationale Medien, um sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort zu machen. Denn trotz vereinzelter Hilfslieferungen ist die humanitäre Infrastruktur Gazas praktisch zusammengebrochen.

Sterben in der Isolation

Die Geschichte des kleinen Yahya, gestorben am 22. Juli in Khan Younis, steht exemplarisch für die Dramatik der Situation. Seine Tante, Lojaïn al-Najjar, sagt in Tränen aufgelöst: „Er ist an Mangelernährung gestorben. Wir konnten ihn nicht mehr ernähren.“ Wie Yahya sind laut Berichten in den letzten 24 Stunden drei weitere Babys gestorben. Im Al-Shifa-Krankenhaus – einst das größte und wichtigste Krankenhaus der Region – nimmt die Zahl der unterernährten Kinder rapide zu.

Der 14-jährige Moussab wiegt noch zehn Kilogramm. Seine Mutter berichtet, dass er früher 40 Kilo gewogen habe. „Er war unsere Stütze, hat sich um seine Schwestern gekümmert“, sagt sie. Diese Einzelschicksale spiegeln ein größeres Muster wider: Der anhaltende Mangel an Nahrung und medizinischer Versorgung trifft die Schwächsten am härtesten.

Ein Gazastreifen im Hungerzustand

Die zugrunde liegende Ursache der Hungersnot ist strukturell und politisch. Seit März ist der Gazastreifen de facto vollständig abgeriegelt. Israel hat nach dem 7. Oktober 2023 seine Kontrolle über die Einfuhr von Hilfsgütern, Medikamenten und Nahrungsmitteln nochmals verschärft – offiziell aus Sicherheitsgründen. Gleichzeitig scheitern internationale Hilfsbemühungen regelmäßig an fehlenden Sicherheitsgarantien, blockierten Grenzübergängen und politischem Stillstand.

Zwar erreichen vereinzelt Konvois mit Hilfsgütern über Ägypten oder die israelische Grenzstation Kerem Shalom das Gebiet, doch der Bedarf übersteigt das Angebot um ein Vielfaches. Das Welternährungsprogramm (WFP) bezeichnet die Versorgungslage als „katastrophal“ und warnt vor einer Hungersnot biblischen Ausmaßes. Auf lokalen Märkten gibt es kaum noch Lebensmittel – und wenn, dann zu astronomischen Preisen. So berichtet ein Journalist vor Ort, Rami Abou Jamous, dass 500 Gramm Mehl bis zu 50 Euro kosten – eine Summe, die für die meisten unerschwinglich ist.

Hilfsorganisationen warnen seit Monaten

Internationale Organisationen wie UNICEF, Oxfam und Ärzte ohne Grenzen warnen seit Monaten vor einer sich zuspitzenden Ernährungskrise in Gaza. Bereits im Frühjahr 2024 legte ein Bericht des Integrated Food Security Phase Classification (IPC) dar, dass große Teile der Bevölkerung sich in der höchsten Krisenstufe (Phase 5: Katastrophe) befinden. Diese Klassifikation bedeutet: akute Unterernährung, Hungertote, Zusammenbruch der Lebensgrundlagen.

Laut UN-OCHA (Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) sind insbesondere Kinder unter fünf Jahren gefährdet, da sie auf kontinuierliche Nahrungszufuhr angewiesen sind. Die Versorgung mit Trinkwasser ist ebenfalls stark eingeschränkt – was das Risiko von Durchfallerkrankungen und damit weiterer Mangelernährung erhöht. Krankenhäuser sind nicht nur unterbesetzt, sondern es fehlt auch an Strom und Medikamenten.

Politisches Versagen auf allen Ebenen

Die Situation in Gaza ist nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine politische Katastrophe. Die Hamas nutzt zivile Infrastruktur für militärische Zwecke, was Hilfslieferungen erschwert. Israel wiederum rechtfertigt die Blockade mit Sicherheitsbedenken und verweist auf den fortgesetzten Raketenbeschuss aus Gaza. Gleichzeitig ist es für die internationale Gemeinschaft kaum möglich, koordinierte Hilfe zu leisten, da es an verlässlichen Ansprechpartnern, logistischen Strukturen und internationalem Druck mangelt.

Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné forderte zuletzt „sofortigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Helfer und unabhängige Journalisten“. Auch die EU und UN-Organisationen drängen auf einen Waffenstillstand und sichere humanitäre Korridore. Doch bislang bleiben diese Forderungen folgenlos. Die humanitäre Krise in Gaza wird mehr und mehr zu einem Spiegelbild des diplomatischen Stillstands im Nahen Osten.

Der Tod von Kindern durch Hunger ist ein symbolisches wie reales Scheitern – der lokalen Akteure wie der internationalen Staatengemeinschaft. Es ist ein Rückfall in Zustände, die man im 21. Jahrhundert für überwunden hielt. Der Gazastreifen droht zum Mahnmal einer Weltordnung zu werden, in der das humanitäre Völkerrecht nicht mehr durchsetzbar ist – insbesondere nicht für die Schwächsten.

Autor: P. Tiko

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!