Tag & Nacht


Wenn in New York ein junger Sozialist, Sohn ugandischer und indischer Eltern, die demokratische Bürgermeistervorwahl in New York gewinnt, sollten in Europa nicht nur Schlagzeilen aufflackern – sondern auch Fragen. Was passiert da gerade in den USA? Und warum trifft dieser Moment einen Nerv, der auch uns betrifft?

Zohran Mamdani ist kein Bürgermeister, noch nicht. Aber er ist jetzt schon ein politisches Symbol. Für eine Generation, die genug hat – von technokratischer Politik, von leeren Versprechungen, von einem vermeintlichen Realismus, der Ungleichheit, Ausgrenzung und sozialen Zerfall als unvermeidlich darstellt. In Frankreich und Deutschland erleben wir denselben Prozess – nur unter anderen Vorzeichen.

In Frankreich ist der Front National – pardon, Rassemblement National – zur stärksten Kraft im Land aufgestiegen. In Deutschland surft die AfD auf der Welle des autoritären Kulturkampfs. Beide Länder sind tief erschüttert von einer rechten Dynamik, die einst als temporär galt, jetzt aber zur strukturellen Herausforderung geworden ist. Und was tun die etablierten Parteien? Sie debattieren, beschwichtigen, verlagern das Zentrum nach rechts – in der Hoffnung, die Ränder einzufangen. Ein politisches Spiel, das sie nicht gewinnen können.

Was Mamdani aus New York mitbringt, ist keine perfekte Antwort – aber ein radikal anderes Framing: Die Antwort auf den Populismus von rechts ist nicht Abgrenzung nach links, sondern ein politischer Angriff von unten. Nicht leere Appelle an die Mitte, sondern handfeste Angebote für die, die diese Mitte längst verlassen mussten.

Kostenlose Kinderbetreuung? In Berlin diskutiert man noch über Modellprojekte.
Mietenstopp? In Paris wurde der letzte Versuch von der Immobilienlobby zerpflückt.
Kostenloser Nahverkehr? In Leipzig erprobt, in Deutschland aber sofort als „unrealistisch“ abgestempelt.

Warum ist das in New York plötzlich vorstellbar – und bei uns nicht?

Weil jemand den Mut hatte, es nicht nur zu fordern, sondern als zentrales politisches Versprechen zu vertreten. Weil jemand sich der Realität einer urbanen Bevölkerung stellt, die multiethnisch, prekär, aber voller Hoffnung ist. Und weil dieser jemand nicht bei der Identitätspolitik stehenbleibt, sondern sie in ein umfassendes Projekt der sozialen Transformation einbettet.

In Frankreich und Deutschland klagt man über Misstrauen in die Politik. Über eine „entfremdete Jugend“. Über ein Gefühl der Ohnmacht. Mamdani zeigt: Man kann das ändern. Nicht mit Phrasen – sondern mit Programmen. Nicht mit Angst vor Polarisierung – sondern mit klaren Konturen. Seine Kandidatur beweist, dass eine andere Linke möglich ist: pragmatisch, sozial – aber nicht elitär. Nahbar, kämpferisch, konkret.

Wird er damit erfolgreich sein? Das ist offen. Aber er stellt Fragen, die auch uns betreffen: Warum überlassen wir den Rechten das Terrain der Emotionalität? Warum fürchten wir uns vor klarer Sprache, wenn es um Ungerechtigkeit geht? Und: Warum glauben wir, dass sozialer Fortschritt im 21. Jahrhundert ein Luxusprojekt ist?

Die politische Mitte Europas wird sich entscheiden müssen. Will sie sich weiter der Rhetorik der Rechten annähern – oder beginnt sie endlich, sich zu bewegen? Mamdani ist kein Modell zum Kopieren. Aber ein Signal zum Aufwachen.

Denn Hoffnung ist politisch. Und wir hätten die Mittel.

Autor: Andreas M. Brucker

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