Tag & Nacht




Leo XIV. – der Name des neuen Papstes klingt wie ein Echo durch die Jahrhunderte. Ein Papst, der sich in einer Zeit globaler Orientierungslosigkeit und kirchlicher Selbstzweifel Leo nennt, will nicht beiläufig auftreten. Er setzt ein Zeichen, ein Statement, ja fast eine Provokation. Denn mit diesem Namen legt er sich selbst eine Messlatte auf, die höher kaum hängen könnte.

Die Geschichte hat den Titel „Leo“ mit Autorität, Theologie und Sozialreform aufgeladen. Leo I., der Große, verteidigte im 5. Jahrhundert nicht nur die kirchliche Lehre gegen innerkirchliche Streitigkeiten, sondern trat auch einem gewissen Attila entgegen, um Rom zu verteidigen – mit nichts als Worten und Glauben bewaffnet. Rom blieb verschont. Bis heute umweht diese Szene ein Hauch von Legende und Größe.

Dann Leo XIII., fast 1.500 Jahre später. Ein Intellektueller auf dem Stuhl Petri, der die Kirche mit der Moderne versöhnte, nicht in Opposition zu ihr stand. Seine Enzyklika Rerum Novarum wurde zum Grundstein einer katholischen Sozialethik, die auch im 21. Jahrhundert noch relevant ist – oder wieder relevant werden könnte.

Und nun Leo XIV. – ein Amerikaner, Robert Francis Prevost. Ein Mann mit Ordenshintergrund, ausgebildet in Lateinamerika, mit viel Seelsorgeerfahrung und einem ausgeprägten Sinn für die Verwaltungsrealität der Weltkirche. Der neue Pontifex hat mit seiner Namenswahl ein Programm formuliert, bevor er ein einziges Wort gesprochen hat.

Doch was will ein Leo im Jahr 2025?

Er will Haltung zeigen – in einer Zeit, in der Haltung unter Verdacht steht. Er will Autorität leben, ohne autoritär zu sein. Er will, so scheint es, die Kirche aus der Defensive holen. Nicht laut. Nicht prunkvoll. Aber kraftvoll. Wenn Leo I. der Papst war, der das Chaos der Völkerwanderung kirchenpolitisch überlebte, und Leo XIII. der, der die Moderne nicht verteufelte, sondern theologisch umarmte – dann steht Leo XIV. möglicherweise für den Versuch, die Postmoderne mit einer neuen spirituellen Klarheit zu durchdringen.

Ein ambitioniertes Vorhaben.

Denn die Kirche steht nicht nur vor einer Glaubenskrise, sondern vor einer massiven Glaubwürdigkeitskrise. Die Missbrauchsskandale, die grassierende Abwanderung, die Rolle der Frau, der Umgang mit Homosexualität, der Rückzug aus der Fläche – all das verlangt nach Antworten. Und nach einer Sprache, die nicht nur in den Kathedralen funktioniert, sondern auch in der Kantine eines mittelgroßen Unternehmens oder auf dem Smartphone-Bildschirm eines 17-jährigen Gymnasiasten.

Ob Leo XIV. diese Sprache spricht? Er hat zumindest verstanden, dass ein Papstname kein Etikett ist – sondern ein Programm.

Schon seine Vorgänger zeigten das: Johannes Paul II. rief polnische Unbeugsamkeit auf, Benedikt XVI. setzte auf intellektuelle Präzision, Franziskus dann schließlich auf radikale Einfachheit. Und Leo XIV.? Er scheint eine Synthese zu versuchen. Ein bisschen Rückbesinnung auf die Stärke der Lehre, ein bisschen Reformwille, ein bisschen Seelsorger. Also alles – nur nicht beliebig.

Natürlich: Namen sind Schall und Rauch, könnte man sagen. Entscheidend ist das Handeln. Doch wer das Papsttum versteht, weiß – Symbolik war hier nie nur Zierde. Der Name Leo verpflichtet. Und vielleicht muss man ihn auch als Gegenentwurf zu den weichen Rändern einer Kirche lesen, die vielerorts nur noch reagiert, nicht mehr gestaltet.

Er kündet von einem Papst, der nicht auf Applaus aus ist, aber auf Klarheit. Von einem Papst, der nicht mit Marketingmitteln um die Jugend buhlt, sondern sich fragt, wie Glaube im 21. Jahrhundert überhaupt noch gedacht – und gelebt – werden kann. Und der womöglich glaubt, dass der christliche Glaube nur dann überlebt, wenn er wieder fordert.

Das mag unbequem klingen. Und doch liegt darin eine alte Wahrheit: Die Kirche war nie stark, wenn sie es allen recht machen wollte. Sie war stark, wenn sie wusste, wofür sie steht – und notfalls auch allein stand.

Was also will Leo XIV.? Vielleicht genau das: Eine Kirche, die aufrecht geht. Nicht stolz, aber klar. Nicht weltfern, aber auch nicht im vorauseilenden Gehorsam vor jedem Zeitgeist. Eine Kirche, die nicht im Modus der Krise verharrt, sondern wieder den Ton setzt.

Ein Papstname ist kein Detail. Er ist eine Kampfansage an die eigene Mutlosigkeit – und manchmal auch an die Erwartungen der Welt.

Und: Leo XIV. hat in seiner ersten Ansprache vom Balkon des Petersdoms immerhin 16 mal das Wort „Frieden“ gesprochen…

MAB

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!