Marie Mesmeur wollte helfen. Als Abgeordnete der französischen Linkspartei LFI schloss sie sich der Flottille Global Sumud an – einem Schiffskonvoi, der symbolisch und praktisch den Belagerungszustand im Gazastreifen durchbrechen wollte. Humanitäre Hilfe, internationale Aufmerksamkeit, politischer Druck – das war der Plan.
Doch was sie am Ende mit nach Hause brachte, war eine Erfahrung, die wie ein Brennglas auf das Verhältnis zwischen Idealismus, Staatsräson und der Zerbrechlichkeit von Menschenrechten wirkt.
Die Bilanz ihrer Reise: Schläge, Schlafentzug, verbale Erniedrigung. Eine Haft, von der sie sagt, sie sei darauf ausgelegt gewesen, ihre Würde zu brechen.
Marie Mesmeur wurde nach der militärischen Erstürmung der Flottille von israelischen Sicherheitskräften festgenommen und in eine Haftanstalt im Negev gebracht. Dort habe man sie gedemütigt, körperlich misshandelt, regelmäßig geweckt, beschimpft. Worte wie „Zermürbung“, „Verhöhnung“, „systematische Entwürdigung“ fallen in ihrem Bericht.
Sie ist nicht die Einzige. Auch andere Teilnehmer:innen berichten von ähnlichen Erfahrungen: Fesseln, Einschüchterungen, Verhöre unter Druck, Wasserentzug. Immer wieder kursiert das gleiche Narrativ: ein repressiver Umgang mit zivilen Aktivist:innen, die lediglich medizinische Güter und Solidarität an Bord hatten.
Man könnte das als persönliche Klage abtun – wäre da nicht der bemerkenswerte Umstand, dass internationale Menschenrechtsorganisationen ähnliche Vorwürfe erheben. Sie sprechen von „psychologischer Folter“, von Misshandlungen und einer rechtswidrigen Festnahme in internationalen Gewässern. Der Vorwurf an Israel ist deutlich: ein bewusster Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Angriff auf die Integrität humanitärer Missionen.
Der zweite Teil der Geschichte spielt jedoch nicht in Israel – sondern in Paris. Und er ist mindestens ebenso brisant.
Denn Marie Mesmeur beklagt nicht nur ihr Schicksal in Haft, sondern vor allem das Verhalten ihrer eigenen Regierung. Kein nennenswerter diplomatischer Protest, kein öffentlicher Rückhalt, keine offensive Positionierung zugunsten der französischen Staatsbürger:innen. Ein diplomatisches Vakuum, das Fragen aufwirft.
Wieso so viel Zurückhaltung gegenüber einem Staat, der sich offenbar nicht an internationale Konventionen hält? Warum so wenig Schutz für eine gewählte Abgeordnete im Ausland – gerade in einer Zeit, in der Frankreich seine „humanitäre Verantwortung“ gerne betont?
Das Schweigen ist laut.
Es ist politisch. Es ist unbequem. Und es ist hoch symbolisch. Denn es stellt nicht nur die außenpolitische Linie Frankreichs infrage, sondern auch den moralischen Kompass europäischer Demokratien im Umgang mit dem Nahostkonflikt.
Natürlich ist das Thema Gaza schwierig. Natürlich ist jede Position eine potenzielle Zielscheibe. Doch ist es nicht gerade Aufgabe von Demokratien, Menschenrechte auch dann zu verteidigen, wenn es schwierig wird? Wenn die geopolitischen Allianzen zittern, wenn die diplomatischen Drähte glühen?
Man muss sich fragen: Was ist eine französische Staatsbürgerschaft eigentlich wert, wenn sie in politischen Ausnahmesituationen nicht schützt?
Die Flottille Global Sumud reiht sich ein in eine lange Tradition symbolischer Proteste gegen die Blockade des Gazastreifens. Was sie unterscheidet, ist der Zeitpunkt – und die Reaktion darauf. Während der Nahostkonflikt eskaliert und die Welt mit immer neuen Gräuelbildern konfrontiert wird, zeigt sich hier ein stiller Nebenschauplatz, der alles andere als nebensächlich ist.
Denn wenn Frankreich – und mit ihm Europa – bei derartigen Vorfällen nicht klar Stellung bezieht, riskiert es, seine Glaubwürdigkeit als Verteidigerin der Menschenrechte zu verlieren. Und was bleibt dann noch von der europäischen Außenpolitik, wenn nicht einmal die eigenen Bürger:innen geschützt werden?
Dabei geht es nicht um politische Parteinahme. Es geht um Prinzipien.
Ob man die Aktion der Flottille unterstützt oder kritisch sieht – das ist zweitrangig. Entscheidend ist die Frage: Dürfen demokratisch gewählte Vertreter:innen, die sich gewaltfrei für humanitäre Ziele einsetzen, ohne Konsequenzen misshandelt werden? Und darf eine Regierung dazu schweigen?
Marie Mesmeur hat ihre Geschichte erzählt. In Facebook-Videos, bei öffentlichen Auftritten, im Parlament. Ihr Ton ist ruhig, aber unmissverständlich. Ihre Botschaft: Was mir passiert ist, kann auch anderen passieren. Und das darf nicht normal werden.
Eine rhetorische Frage bleibt im Raum hängen wie ein unaufgelöster Akkord: Wenn eine Parlamentarierin so behandelt wird – wie ergeht es dann denen, die keine politische Bühne haben?
Vielleicht ist genau das die unbequeme Wahrheit dieser Episode: Sie zeigt, wie fragil Schutzrechte sind, wenn sie an politischen Interessen zerschellen. Und sie erinnert daran, dass Menschenwürde kein diplomatischer Spielball sein darf – auch nicht auf hoher See.
Autor: Andreas M. Brucker
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